Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
paar Münzen. Sein Anblick erinnert mich daran, dass ich mich rasieren muss. Es ist schließlich nur ein kleiner Schritt von den sexy Dreitagestoppeln der Models in den Magazinen zum Strubbelbart eines verwahrlosten Trinkers.
»Vielen Dank, Sir«, sagt er und nickt mir mit einer leichten Verbeugung zu. Macht mir nichts aus, diesem Typen jede Woche ein paar Münzen zuzustecken, wo er doch immer so dankbar ist. »Gott segne dich, Gott segne dich.« Jede Menge Dankbarkeit für nur fünfundsiebzig Cent. Aus dem Gefühl heraus, so viel Dank nicht verdient zu haben, biete ich ihm eine Zigarette an, die er mit dem Ausdruck noch weiter gesteigerter Dankbarkeit entgegennimmt.
Ein Mercedes fährt vorbei, den er mit derselben Intensität betrachtet, mit der die Frauen drinnen auf die Bilder griechischer Villen starren. »Mann, kann ich mir gut vorstellen, in so einer Karre zu sitzen. Mit dem vornehmen Leder- In-te-ri-eur …« Die letzten Silben zieht er lachend in die Länge, in der Erwartung, dass ich mitlache. Ich lache nicht. Einer wie ich, der sechzehn Stunden am Tag hinterm Lenkrad sitzt, fantasiert nicht über Autos.
»Autos geben Ihnen wohl nichts?«, fragt er.
»Ich fahr den lieben langen Tag ein Taxi«, erkläre ich. Meine Phantasien drehen sich hauptsächlich um Blockhütten, einsame Behausungen im Stil des Unabombers, weit weg vom Schmutz und der Hitze der Stadt. Orte, wo es keinen Verkehr gibt, keine Dieselabgase, keine Kleingeld schnorrenden Penner. Ich träume von Frieden und Ruhe, nicht von phantastischen Besitztümern.
Er aber blickt unverwandt die Straße hinunter, dem Mercedes hinterher. Schon möglich, dass er sich in einer winzigen Ecke seines Gehirns vorstellt, dass er selbst eines Tages so einen besitzen wird. Mit ein wenig Kartenglück, dem richtigen Lotterielos, oder wenn er nur die richtigen Leute kennenlernt, wäre so ein Ding ohne weiteres drinnen. Derlei Gedankenspiele halten ihn aufrecht, und dass ich mich seinem Traum verweigert habe, hat ihn beleidigt. Jetzt macht er sich davon, meine Zigarette rauchend, grußlos.
Der erste freie Tag ist für Wäschewaschen, der zweite für Ausruhen, Erholung und allgemeines Reinemachen reserviert. Ich versuche, meine Agenda möglichst früh abzuarbeiten, damit am Nachmittag ein wenig Zeit für Vergnügen bleibt.
An meinem zweiten freien Tag hole ich mir immer wieder ein paar Bücher aus der Bibliothek, von denen ich mir Ratschläge zur Änderung meines Lebensplans erhoffe. Dann stelle ich mir vor, wie es wäre, ein Anwalt zu sein, Botaniker oder Küchenchef, oder so viel Geld zu sparen, dass ich mir eine Immobilie in Belize leisten könnte. Für ein juristisches Studium müsste ich zunächst mal mehrere Jahre die Abendschule besuchen, nur um an der juristischen Fakultät aufgenommen zu werden, also habe ich diesen Plan bald fallengelassen. Und als ich draufkam, dass ich als Taxifahrer mehr verdiene als ein Botaniker, habe ich das auch aufgegeben. Auf die Idee mit dem Küchenchef hat mich ein echter Chefkoch gebracht, der in Wochenendnächten ein regelmäßiger Fahrgast war. So um zehn Uhr nachts hab ich ihn von seinem Restaurant abgeholt, einem feinen Lokal in einer teuren Gegend, und runter zur Corinth Street gebracht, wo er Koks für seine Küchenbrigade gekauft hat. Auf der Rückfahrt war er stets ein wenig gesprächiger; er würde mich jederzeit als Souschef anstellen, wenn ich das Taxifahren mal aufgeben wollte.
Vor einigen Jahren ist Belize zu einer beliebten Feriendestination geworden, und Amerikaner haben alle guten Strandlagen aufgekauft.
Ich brauche neue Träume, also besorge ich mir ein Buch über Costa Rica, und ein anderes über Gärtnern in Großstädten.
Vor etwa zwei Jahren hab ich begonnen, eine der öffentlichen Gartenparzellen zu nutzen, die man auf einem der leerstehenden Grundstücke in der Nähe meiner Wohnung eingerichtet hatte. Aber im ersten Jahr zerstörten Vandalen und Diebe alle meine Tomaten und Kürbisse, und im zweiten Jahr kamen plötzlich die Leute von der Wasserbehörde an und behaupteten, das Grundstück gehöre ihnen, ich solle gefälligst abhauen. Ab und zu denke ich daran, noch einen Versuch zu starten, diesmal mit offizieller Genehmigung der Stadt.
Als ich mit meinen Büchern ins Apartment zurückkehre, hab ich eine Nachricht von Charlie White auf dem Anrufbeantworter. Er sitzt im Sullivan’s, einer Bar in meiner Straße, und will wissen, ob ich mich anschließen will. Auf ein Bier mit Charlie White zu
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