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Kinder des Feuers

Kinder des Feuers

Titel: Kinder des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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    A N DER BRETONISCHEN K ÜSTE IM J AHR 936
    Ihre Welt war arm an Farben: Da war das milchige Blau des Himmels, das dunstige Grau des Meeres, das rötliche Braun der Felsen, das schmutzige Weiß der Gischt. Der kreisrunde Wall aus über die Jahre verwittertem Holz, der inmitten dieser Einöde aufragte, bot kaum Schutz, und wenige Stöße hätten gereicht, den Wehrgang zum Einsturz zu bringen, doch immerhin kündete er vom Wirken menschlicher Hände.
    Die Krieger erweiterten ihn gerade. Sie hatten ihre Waffen beiseitegelegt und schleppten Holz und Steine, einmal mehr bekundend, dass sich bei den Nordmännern niemand zu schade war, sich die Hände schmutzig zu machen. Sie arbeiteten entschlossen und trotzten dem Wissen, dass, was immer man hier errichtete, bald erneut von Wind und Meer zerfressen sein würde.
    Hawisa sah den Männern gern beim Arbeiten zu. Jede Tat zupackender Hände, war sie auch noch so sinnlos, bestätigte, dass auf der Welt nur bestand, wer um Veränderung rang, anstatt sich aufs Abwarten zu verlegen.
    Die zwei Männer, die eben zu ihr traten, arbeiteten nicht – das taten sie nie. Sie machten nur mit Worten Mut, die Heimtücken des Lebens zu ertragen und unbeirrt an ihrem Vorhaben festzuhalten – heute jedoch nicht einmal das. Stattdessen berichteten sie, dass Hasculf mit seiner Truppe zurückgekehrt war und Nachrichten brachte und dass diese Nachrichten keine guten waren.
    Hawisa spannte sich kaum merklich an.
    »Schon wieder sind zwei Städte gefallen«, wurden ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. »Allerorts unterwerfen sich die Menschen Alanus Schiefbart und begrüßen ihn mit lautem Jubel.«
    »Das sind keine Menschen«, knurrte Hawisa, »das sind nur blökende Schafe.«
    »So oder so sind wir hier nicht länger in Sicherheit.«
    Der Mann, der zu ihr sprach, war blind. In der Sprache des Nordens hätte man ihn eigentlich Blindur nennen müssen, den Blinden, aber er bestand darauf, dass man ihn Dökkur rief, den Dunklen. Der Name passte zu ihm – nicht nur, weil seine Welt in Dunkelheit versunken war, sondern weil seine furchteinflößende Erscheinung vermittelte, er könnte kraft seines Willens sogar die Sonne dazu bringen, sich zu verstecken. Er war sehr groß und dürr, hatte schwarzes Haar, das verfilzt über seinen Rücken hing, und einen langen, ebenso ungepflegten Bart. Seine Nase war spitz, die Lippen schmal. Dökkur war nicht blind geboren worden, nach einer verlorenen Schlacht einige Jahre zuvor hatte man ihm die Augen ausgestochen. Mal trug er eine Binde über den Narben, die dunklen Löchern glichen, mal zeigte er sie jedem, um daran zu mahnen, wie schnell sich das Schicksal wenden konnte: Eben noch ein tapferer Krieger, hochgeboren und willens, das Erbe seines Bruder anzutreten, war er nun nicht länger fähig, zu kämpfen und zu führen.
    Hawisa graute es vor seinem Anblick, doch während er andere verängstigte, erweckte er in ihr vor allem Trotz. So tief wie er wollte sie nie fallen.
    »Ich fühle mich sicher hier«, erklärte sie.
    »Trotzdem – wir sollten fliehen.«
    »Ich werde nicht gehen. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben.«
    Sie verbarg das Zittern in ihrer Stimme. Tagsüber gab sie sich gefasst, nur nachts hielt die Angst sie wach. Nicht die Angst vor dem Tod, sondern die davor, dass sie vor diesem Tod ihre Ziele nicht mehr erreichte, dass sie ihrem Leben keinen Sinn mehr geben konnte und ihr Name der einer Frau blieb, die gescheitert war, anstatt ein Reich zu erobern, zu einen und zu stärken. Seit einem Jahr begleitete sie diese Angst. Seit einem Jahr herrschte Krieg in der Bretagne.
    »Hoffnung, du sprichst von Hoffnung?« Dökkur sprach das Wort verächtlich aus. Seine Kiefer knirschten, als wollte er es zermalmen.
    Das ist aus uns geworden, dachte sie. Verspreche ich ihnen, morgen im eigenen Blut zu ersaufen, sie würden ihr Schicksal schultern wie die Männer am Wall die Baumstämme – fleißig, ohne zu murren, geübt zu ertragen. Verspreche ich ihnen hingegen Hoffnung, wirft man mir vor, sie zu verhöhnen.
    »Ich weiß … ich weiß … die Bretagne bricht immer mehr auseinander.«
    »Und jetzt ist auch noch Nantes an Alanus gefallen.«
    Hawisa schloss die Augen. Nantes. Das sollte ihre Hauptstadt sein, nicht die des Widersachers.
    Nun schaltete sich der Mann ein, der mit Dökkur zu ihr getreten war. Bis jetzt hatte er mit verschlagenem Gesicht gelauscht. Er war ein ehemaliger Mönch und seit Jahren ihr Sklave, doch er verhielt sich nicht

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