Hoffnung ist Gift: Roman (German Edition)
ich von ihm wegtorkle. Langsam gewöhne ich mich daran, dass mich Leute überrascht anstarren. Als ob ich fast nur noch dummes Zeug schwafeln würde.
Ich vertrage definitiv weniger Alkohol. Ich bin erst beim zweiten Bier, und schon lassen meine motorischen Fähigkeiten nach, und die Dinge wirken ganz verschwommen. Dr. Conning sitzt in einem Sessel in meiner Hotelbar. Verfolgt sie mich? Ich könnte sie verschrecken, wenn ich sie mit dieser Frage konfrontiere, also werde ich besser mit einem Hallo beginnen.
»Hi«, sage ich. Sie liest in irgendwelchen Unterlagen, die sie anscheinend an der Konferenz bekommen hat. Sie blickt hoch. Ich hatte ganz vergessen, wie schön sie ist. Sie streicht sich die Haare hinters Ohr und lächelt mich an, ohne die geringste Überraschung zu zeigen.
Hi«, sagt sie. »Wie geht es Ihnen?« Sie deutet auf einen unbesetzten Sessel neben sich. »Setzen Sie sich.«
Seltsam. Ich hätte mir einen Überraschungseffekt erwartet. Vielleicht erinnert sie sich nicht an mich. »Ich bin Jeff Sutton«, erkläre ich. »Ich wurde irrtümlich verurteilt …«
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagt sie leicht amüsiert. »Ich habe ein gutes Gedächtnis für Menschen, Jeff.«
Jeff. Sie hat meinen Namen gesagt. Tut so gut, das zu hören. »Sie sind also Privatdetektivin? Ich dachte, Sie sind Seelenklempner.«
»Doktor der Kriminologie. Ich arbeite viel mit Privatdetektiven zusammen, hauptsächlich jedoch mit dem Strafvollzug.« Sie schenkt mir ein süßes Lächeln. An dieses Lächeln werde ich mich lange erinnern. Ich lächle zurück und vergesse, warum ich zu ihr rübergekommen bin.
Jetzt fällt mir noch was anderes ein: »Sagen Sie mal, ich hab mir so meine Gedanken über dieses Tagebuch gemacht. Was war eigentlich der Sinn und Zweck hinter diese Sache?«
Wieder dieses Lächeln. »Was ist so unverständlich daran, Gefängnisinsassen darum zu bitten, ihre Gedanken aufzuschreiben?«
»Nein, nein … da war noch was anderes, sie hatten noch andere Absichten.«
Ihr Gesicht, ihre Schönheit – alles erscheint plötzlich in brutaler Klarheit. Klarer als alles, was ich je gesehen habe. Sie anzusehen, beeinflusst auf irgendeine Weise meine gesamte Wahrnehmung. Ich will mit ihr sprechen, Teil ihrer Welt sein, muss aber, wenn ich das schaffen will, meine eigene Welt verlassen. Die Klarheit bringt auch noch andere Dinge zutage; Dinge, deren Existenz mir immer bewusst war, die ich aber nicht akzeptieren wollte. Sie lächelt, und ich stelle fest, dass sie nicht in einem der feinen Lounge-Sessel der Plaza-Bar sitzt, sondern auf einem für öffentliche Einrichtungen typischen Metallstuhl mit Vinylpolsterung, wie sie auch im Gefängnis verwendet werden. Ich höre auf, in ihre hübschen Augen zu schauen und starre stattdessen das silberfarbene Metall der Stuhlbeine an.
»Es handelt sich um eine laufende Studie«, sagt sie. »Ich darf dazu keine näheren Auskünfte geben.«
»Und was halten Sie davon ?« Ich versuche, hier eine Frau anzumachen, aber wie ich feststelle, nimmt meine Stimme einen etwas feindseligen Ton an, und ich merke, wie mich meine Energie verlässt. Die Mädels haben mit Feindseligkeiten wenig Freude. Ich aber kann die »Laufende-Studie«-Scheiße nicht ausstehen. »Was halten Sie von dieser Theorie: Ich glaube, Sie sind eine Privatdetektivin, die für die Familie des Opfers arbeitet, und Sie haben mich das Tagebuch schreiben lassen, um darin irgendwelche Hinweise darüber zu finden, was ich mit der Leiche des Mädchens getan habe. Damit sie ein anständiges Begräbnis bekommt. Und das trotz der Tatsache, dass ich euch allen an die fünfzigtausend Mal erklärt habe, dass ich es nicht war.«
»Ist okay, Jeff«, sagt sie, jetzt allerdings ohne Lächeln, dafür mit einem sorgenvollen Ausdruck. »Ist schon okay.« Und schließlich, in meine offenbar gequält wirkenden Augen blickend: »Ja, Sie haben recht. Das ist der wirkliche Grund hinter der Geschichte mit dem Tagebuch.«
»Hat’s geholfen?«
»Nein. Hat nicht funktioniert.«
»Ich hab euch doch gesagt, dass ich es nicht war.« Ich blicke sie einige Sekunden lang an, in der Gewissheit, dass sie mir nicht glaubt. Schließlich wechsle ich das Thema. Ich neige mich zu ihr vor und zeige auf den langen Spiegel. »Als ich vorhin hierherkam, stellte ich mir vor, dass hinter dem Spiegel Gefängniswärter sitzen«, sage ich in scherzhaftem Ton, dem Komödiantischen dieser Bemerkung entsprechend.
Sie nickt. »Hinter dem Spiegel sitzen tatsächlich
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