Home Run (German Edition)
Bett.
Meine Mutter weckte mich wie versprochen um sechs Uhr morgens, damit ich die Fernsehnachrichten nicht verpasste. Ich hoffte, wenigstens einen Blick auf Joe Castle erhaschen zu können. Channel 4 brachte einen kurzen Bericht über die Spiele der National League. Die Mets hatten in Atlanta gewonnen, was sie zwei Spiele über . 500 brachte. Und dann kam es: Joe Castle sprintete in Philadelphia um die Bases, einmal, zweimal, dreimal. Und der Drag Bunt bekam genauso viel Sendezeit wie die Home Runs. Der Junge konnte fliegen.
Meine Mutter holte die New York Times aus der Einfahrt. Auf der ersten Seite des Sportteils war ein Schwarz-Weiß-Foto von Joe und ein langer Artikel über sein historisches Debüt. Ich holte mir eine Schere, schnitt Foto und Artikel aus und legte ein neues Scrapbook an, eines von vielen, in denen ich akribisch zusammentrug, was ich über einen Spieler finden konnte. Wenn die Mets ein Heimspiel hatten und mein Vater zu Hause war, musste ich die Zeitungen einige Tage aufbewahren, bevor ich die Artikel über Baseball ausschneiden konnte.
Ich fand es toll, wenn die Mets auswärts spielten. Dann war mein Vater weg, und in unserem Haus war alles ruhig und friedlich. Doch wenn er zu Hause war, herrschte eine völlig andere Stimmung. Denn er war ein egozentrischer, schwermütiger Mann, der nur selten ein freundliches Wort für uns hatte. Er hatte nie sein volles Potenzial erreicht, was aber immer an jemand anders lag – am Manager, an seinen Mannschaftskameraden, den Eigentümern des Klubs, ja sogar an den Schiedsrichtern. An den Abenden, an denen er gespielt hatte, kam er häufig sehr spät und betrunken nach Hause, und so begannen dann auch die Probleme. Ich war zwar erst elf Jahre alt, ahnte aber bereits, dass meine Eltern nicht zusammenbleiben würden.
Wenn die Mets auswärts spielten, rief er nur selten an. Ich dachte oft, wie schön es wäre, wenn mein Vater nach einem Spiel zu Hause anrufen und mit mir über Baseball reden würde. Bei jedem Spiel der Mets saß ich vor dem Fernseher oder dem Radio und hatte unzählige Fragen, aber wahrscheinlich zog er danach mit seinen Mannschaftskameraden um die Häuser und hatte keine Zeit.
Ich spielte mit Begeisterung Baseball, allerdings nur, wenn mein Vater mir nicht dabei zusah. Wegen seiner vielen Termine hatte er nur selten Zeit, bei meinen Spielen dabei zu sein, was für mich eine unbeschreibliche Erleichterung war. Doch wenn er da war, hätte ich am liebsten nicht gespielt. Auf dem Weg zum Baseballplatz hielt er mir immer Vorträge, während des Spiels schrie er mich an, und – das war das Schlimmste – auf dem Weg nach Hause schimpfte er die ganze Zeit mit mir. Einmal schlug er mich sogar, als wir im Auto saßen und heimfuhren. Seit meinem siebten Lebensjahr hatte ich bei jedem Spiel, bei dem mein Vater als Zuschauer dabei gewesen war, geweint.
1 All-American: Schüler/Student, der im US -amerikanischen College- oder Highschool-Sport in die landesweite Bestenauswahl einer Sportart gewählt wird (Anm. d. Übers.).
3
Sara und ich lernten uns im zweiten Studienjahr an der University of Oklahoma kennen. Einen Monat nach unserem Examen heirateten wir. Warren war sowohl zur Abschlussfeier als auch zur Hochzeit eingeladen, kam aber nicht. Was niemanden überraschte.
Wir haben drei wunderbare Töchter und leben in Santa Fe, wo ich Software für ein Luft- und Raumfahrtunternehmen schreibe. Sara hat bis zur Geburt der Mädchen als Innenarchitektin gearbeitet, dann aber beschlossen, als Vollzeitmutter zu Hause zu bleiben. Ich freute mich natürlich über jeden weiteren Familienzuwachs, jedes weitere gesunde Baby, und war nicht im Mindesten darüber enttäuscht, dass Gott uns nur Mädchen zugedacht hatte. Ich wollte gar keinen Jungen, weil ich nicht wollte, dass er einen Baseball in die Hand nahm und anfing, ihn in der Gegend herumzuwerfen. Die meisten meiner Freunde haben ein oder zwei Jungen, und alle haben ihnen irgendwann einmal beigebracht, Baseball zu spielen. Wenn wir einen Jungen hätten, wäre ich mit Sicherheit einmal in die Versuchung gekommen, es genauso zu machen, und daher bin ich ganz froh darüber, dass es in unserer Familie nur Mädchen gibt.
Ich habe mit elf Jahren mit dem Baseballspielen aufgehört und seit dreißig Jahren kein einziges Inning mehr gesehen.
Mein Arbeitgeber ist eines dieser fortschrittlichen Unternehmen mit allen möglichen Leistungen und flexibler Arbeitszeitgestaltung. Ich könnte auch von zu Hause aus arbeiten,
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