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Die zweite Haut

Die zweite Haut

Titel: Die zweite Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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EINS

    1
    »Ich muß …«
    Martin Stillwater, der sich in seinem bequemen ledergepolsterten Bürosessel zurücklehnte, sanft wippte, ein Diktiergerät in der rechten Hand hielt und einen Brief an seinen Lektor in New York diktierte, stellte plötzlich fest, daß er immer wieder dieselben zwei Worte wie ein verträumtes Flüstern wieder holte.
    »… ich muß … ich muß … ich muß …«
    Stirnrunzelnd schaltete Marty das Diktiergerät ab.
    Der Zug seiner Gedanken war auf ein Nebengleis gerattert und zum Stillstand gekommen. Er konnte sich nicht erinnern, was er sagen wollte.
    Mußte was?
    Das große Haus war nicht nur ruhig, sondern unheimlich still. Paige war mit den Kindern essen und ins Kino in eine Samstagsmatinee gegangen.
    Aber die Stille ohne die Kinder war mehr als nur ein Zustand. Sie besaß Substanz. Die Luft war schwanger davon.
    Er legte eine Hand an den Nackenansatz. Die Handfläche fühlte sich kalt und feucht an. Er erschauerte.
    Der Herbsttag draußen war so gedämpft wie das Haus selbst, als wäre ganz Südkalifornien menschenleer. Vor dem einzigen Fenster seines Arbeitszimmers im ersten Stock waren die breiten Flügel der rotbraunen Fensterläden nur angelehnt. Sonnenlicht fiel zwischen den schrägen Latten herein und prägte Sofa und Teppich schmale rotgoldene Streifen auf, die so üppig wie ein Fuchspelz wirkten; der äußerste Lichtstreifen schnitt eine Ecke des U-förmigen Schreibtischs ab.
    Ich muß …
    Instinkt verriet ihm, daß erst vor wenigen Augenblicken etwas Wichtiges geschehen war, dicht außerhalb des Sehbereichs, nur unterschwellig wahrgenommen.
    Er drehte sich mit dem Sessel herum und betrachtete das Zimmer hinter sich. Abgesehen von den Streifen kupferfarbenen Sonnenlichts, unterbrochen von den Schatten der Läden, bestand die einzige Lichtquelle aus einer kleinen Schreibtischlampe mit Tiffanyschirm. Aber selbst in diesem Halbdunkel konnte er erkennen, daß er allein mit seinen Büchern, Aktenschränken und dem Computer war.
    Vielleicht kam ihm die Stille nur deshalb unnatürlich vor, weil das Haus seit Mittwoch von Lärm und Geschäftigkeit erfüllt war, als die Thanksgiving-Ferien angefangen und die Schulen geschlossen hatten. Er vermißte die Kinder. Er hätte mit ihnen ins Kino gehen sollen.
    Ich muß …
    Die Worte waren mit einer seltsamen Anspannung ausgesprochen worden – und Verlangen.
    Nun überkam ihn ein seltsames Gefühl, eine deutliche Empfindung bevorstehender Gefahr. Es war die grauenhafte Vorahnung, die die Figuren in seinen Romanen manchmal spürten, die er sich stets zu beschreiben bemühte, ohne dabei auf Klischees zurückzugreifen.
    So etwas hatte er seit Jahren nicht mehr empfunden, seit Charlotte mit vier Jahren schwer krank geworden war und der Arzt ihn und Paige darauf vorbereitet hatte, es könnte sich um Krebs handeln. Den ganzen Tag im Krankenhaus, wo ihre Tochter zu Tests von einem Labor zum nächsten gerollt worden war, die schlaflose Nacht und die langen Tage darauf, bis die Ärzte eine Diagnose stellen konnten, fühlte sich Marty von einem bösen Geist verfolgt, dessen Anwesenheit die Luft schwängerte, so daß es ihm schwerfiel zu atmen, sich zu bewegen, zu hoffen. Wie sich herausstellte, war seine Tochter weder von übernatürlichem Bösen noch von einem bösartigen Tumor bedroht worden. Bei dem Problem handelte es sich um eine heilbare Bluterkrankung. Innerhalb von drei Monaten wurde Charlotte gesund.
    Aber er erinnerte sich nur noch zu gut an diese bedrückende Furcht.
    In deren eisigem Griff befand er sich nun wieder, wenn auch ohne ersichtlichen Grund. Charlotte und Emily waren gesunde, aufgeweckte Kinder. Er und Paige waren glücklich miteinander – absurd glücklich, wenn man sich überlegte, wie viele Paare Mitte Dreißig aus ihrem Bekanntenkreis geschieden waren, getrennt lebten oder einander betrogen. Finanziell standen sie besser da, als sie je erwartet hätten.
    Trotzdem wußte Marty, daß etwas nicht stimmte.
    Er stellte das Diktiergerät weg, ging zum Fenster und öffnete die Läden ganz. Ein Waldahorn ohne Laub warf dunkle, länglich verzerrte Schatten über den kleinen Seitengarten. Hinter den knorrigen Ästen schienen die blaßgelben Stuckwände des Nachbarhauses den Sonnenschein aufgesogen zu haben; goldene und rostrote Spiegelungen bemalten die Fenster; das Haus war still und anscheinend friedlich.
    Rechts konnte er einen Ausschnitt der Straße sehen. Die Häuser auf der anderen Seite des Blocks waren ebenfalls im

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