Honecker privat
für die beiden Boote der Volksmarine aus Lauterbach, die die Verbindung über die drei Kilometer zur Insel Rügen hielten. Das Festland im Süden war etwa zwanzig Kilometer weit weg.
Ausgerechnet die Nazis hatten Vilm 1936 unter Naturschutz gestellt. Der Badetourismus aus Putbus, genau ein halbes Jahrhundert zuvor eröffnet, hatte die Insel derart geschädigt, dass man sie schloss. Nach dem Ende des Krieges lebte der Tourismus wieder auf; allein an den Wochenenden drängten sich auf den wenigen Quadratmetern mitunter über tausend Ausflügler. Ende der 50er Jahre entschied Berlin, diese Art öffentliche Nutzung zu beenden. Fast drei Jahrzehnte wurde Vilm als Urlaubsinsel des DDR-Ministerrates genutzt. Das war nichts Ungewöhnliches: Staatsoberhäupter in aller Welt bevorzugten Inseln als Sommerresidenz. Auf Brioni, einer von vierzehn kroatischen Inseln in der Adria, empfing beispielsweise Josip Broz Tito seit 1947 Staatsgäste und Hollywoodstars. Auf Brioni wurde 1956 auch die Bewegung der Blockfreien mit Nehru und Nasser aus der Taufe gehoben.
Anders auf Vilm. Dort spannte man in der Abgeschiedenheit aus – auch wenn täglich ein Kurier Post und Zeitungen aus der Hauptstadt brachte. Es steht zu bezweifeln, dass alle diese Ruhe und den Müßiggang so schätzten wie EH. Von Gerhard Beil ist überliefert, dass er einmal von Honecker zum Urlaub eingeladen wurde und sich zu Tode auf der Insel langweilte, weshalb er, um Wiederholung zu vermeiden und um nicht unhöflich zu erscheinen, rechtzeitig unaufschiebbare Dienstreisen terminierte.
So hatte er immer einen Grund, bedauernd Honeckers Einladung abzulehnen. Dieser spulte sein Programm ab: Frühstück, Zeitungs- und Aktenstudium, ein wenig die Beine vertreten, Mittagessen und kleines Nickerchen, danach ein Stückchen Kuchen – entweder Kirsch- oder Apfelstreusel, auf keinen Fall Creme- oder Sahnetorten – und dazu Nescafé.
Auch dies eines der großen Welträtsel, warum Honecker auf löslichen Kaffee so abfuhr. Jeder Mensch trank Bohnenkaffee, nichts duftete angenehmer als frisch gemahlene, nicht zu scharf gebrannte Kaffeebohnen, und schließlich das feine Aroma von frisch Gebrühtem. Nein, es musste bitterer Instantkaffee sein, der den Namen »Kaffee nicht verdiente. Und jeden Abend gab es eine Filmvorführung.
Margot Honecker beschäftigte sich mit Tochter Sonja, später mit Enkel Roberto, sie war ein Familienmensch und, anders als ihr Mann, noch immer ein starker Raucher. Ich musste dafür sorgen, dass immer genügend HB im Haus waren. Mir schien das Verhältnis zwischen meinem Chef und seiner Frau ein wenig distanziert, ein turtelndes Liebespaar waren sie nicht. EH zeigte nie Gefühle, und auch sie war stets von kühler Ratio beherrscht. Das änderte sich nach meiner Beobachtung, als Enkel Roberto in ihrer beider Leben trat. Als Großeltern zeigten sie normale menschliche Regungen.
Dieser entschleunigte Tagesablauf im Urlaub, der für andere darum wenig attraktiv war, wurde mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks absolviert. Deshalb drängte es nur wenige, mit EH gemeinsam den Urlaub zu verbringen, egal wo. Es wurden ohnehin allenfalls vier Häuser für urlaubende Familien auf Volm reserviert, denn in den übrigen Objekten wurden das Service-Personal, die Personenschützer, die Ärztin und eine Physiotherapeutin untergebracht.
Für mich begann der Tag mit der Vorbereitung des Frühstücks. Die Lebensmittel kamen frisch von Lauterbach herüber, die Brötchen aus unserer Bäckerei in Wandlitz. Er verzehrte davon zwei, dazu gab es Ei in unterschiedlicher Form: gekocht, gebraten mit Schinken, also very british, gerührt oder als Spiegelei.
Die Krönung der Tafel war Honig. Der musste von Langnese sein. Ich wurde den Verdacht nicht los, dass diese Affinität aus Kindheitstagen rührte.
Die Hamburger Biskuit-Firma des Exportkaufmanns V. E. H. Langnese produzierte seit 1888 Honig und dieser war schon bekannt und berühmt, als Honecker noch im Saarland in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Vielleicht erfüllte er sich mit dem täglichen Löffel Langnese-Honig einen seiner Kinderträume. Zuvor, natürlich, gab es die Zitrone.
Ich hatte den Eindruck, dass in jenem Sommer 1972 ein Experiment erfolgte, dessen Teil ich war. Im Jahr zuvor, auf dem VIII. Parteitag der SED, war Honecker zum Ersten Sekretär gewählt worden. Er brach mit allen Gewohnheiten seines Vorgängers und legte erkennbar Wert darauf, in der politischen Führung als Gleicher unter Gleichen zu
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