Sklavin des Wolfes (German Edition)
Der böse Wolf
Das lindgrün gestrichene Gebäude kam in Sicht. Langgestreckt, fast fensterlos, mit einem Flachdach. Ein schmuckloser Zweckbau aus Betonfertigteilen. Er lag im Industriegebiet Kölns, nahe der Ausfahrt der Bundesstraße. Noch ein paar Minuten, dann würde sie zum dritten Mal in diesem Monat Wolfram Tiete gegenüber stehen.
Das Tagespensum war geschafft. Sie war mit ihrer Leistung zufrieden. Eine der Großdruckereien hatte sich von der neuen Papiersorte überzeugen lassen und von den Agenturen, die sie heute besucht hatte, erhoffte sie sich auch noch einige lukrative Aufträge.
Noch ein allerletzter Termin, dann hatte sie für heute alles geschafft. Aber leider war dies auch der unangenehmste. Was er sich wohl ausgedacht hatte, um sie zu sich zu bestellen? Es war nicht nur diese arrogante Art, die er an den Tag legte, dieses Rechthaberische, Allwissende, dieses überlegene Lächeln, das um seine Mundwinkel zuckte und sie verunsicherte. Es musste noch einen anderen Grund geben, warum sie ambivalente Gefühle empfand, wenn sie ihm begegnete. Es gab ab und zu Leute, die ihr mit Überheblichkeit gegenüber traten. Vermutlich weil sie glaubten, sie hätte als Frau zu wenig Ahnung. Meistens nahm sie ihnen in kurzer Zeit durch Beweisen ihrer Fachkompetenz den Wind aus den Segeln und sie wurden freundlicher und umgänglicher.
Aber nicht Wolfram Tiete. Bei ihm war alles anders. Immer wieder gelang es ihm, sie aus dem Konzept zu bringen. Aber es war nicht das Fachliche. Mia erinnerte sich nicht, wann er ihr eine Schwäche ihrer Kompetenz bewiesen hätte. Es geschah einfach während ihrer Unterhaltung. Er schmeichelte ihr, hörte ihr aufmerksam zu, doch dann baute er in der nächsten Sekunde irgendeine, wenn auch kleine Unsicherheit auf, und genau dafür hasste sie ihn, weil es so unkalkulierbar und schwer zu greifen war.
Das war nicht immer so gewesen. Sie war ein Mal, höchstens zwei Mal im Monat bei ihm vorbei gefahren. Mehr war nicht nötig. Er bestellte genug im Voraus, um seine auflagenstarken und zum Teil exquisiten Aufträge jederzeit zu bewältigen. Wenn Mia kam, legte er Wert auf ein bisschen Smalltalk. Das hatte sie bald herausgefunden und es war auch in Ordnung. Es war Teil ihrer Arbeit, auf jeden Kunden einzugehen. Vor allem bei solchen Großbestellern wie Tiete. Aber er war eben anders und ein wenig schwierig.
Tiete bevorzugte Termine gegen Abend, wenn die Hektik im Betrieb nachließ. Daher legte Mia ihre Route so, dass sie zu ihm als letztem Kunden fuhr. Zu Anfang hatte sie sich gefragt, ob dieser Mann kein Familienleben hatte. Die Gespräche dauerten mitunter lang. Sie unterhielten sich auch über andere als geschäftliche Dinge, kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Er war höflich und gab ihr immerhin das Gefühl, dass ihn ihre Meinung interessierte. Sie bemühte sich, über seine überlegene Haltung und seinen intensiven Blick, der sie bis in die letzte Faser ihres Körpers vibrieren ließ, hinweg zu sehen. Niemand wartete zu Hause auf sie. Es spielte daher keine Rolle, wann sie diesen Termin beendete. In manchen Wochen war er der einzige Mensch, mit dem sie ein längeres Gespräch führte. Ohne ihn wäre ihre Welt ein kleines Stückchen ärmer. Inzwischen hatte sie auch herausgefunden, dass Tiete allein lebte. Das war das größte Rätsel. Dieser attraktive Mann hatte doch bestimmt kein Problem damit, eine Frau zu verführen? Was war mit ihm los?
Alles war in Ordnung bis zu dem Tag, an dem Tiete sie zum Essen einlud. Mia erinnerte sich nicht mehr genau, warum sie ablehnte. Sie hatte schon die ganze Zeit das Gefühl gehabt, als wolle er eigentlich über etwas ganz anderes sprechen, nichts bestellen, sondern hätte sie aus einem anderen Grund zu sich gebeten.
Hatte er vielleicht schon seit längerem Signale ausgesandt, die sie nicht richtig gedeutet hatte? War ihre Ablehnung eine spontane Reaktion, weil sie Angst davor hatte, Geschäftliches mit möglicherweise Privatem zu verbinden? Die gemeinsamen Gespräche waren zu einem Ritual geworden, sodass es ihr offensichtlich entgangen war, dass mehr dahinter stecken könnte. Oder hatte sie Angst davor gehabt, mit diesem Mann, der eine dominante Ausstrahlung an den Tag legte, einen ganzen Abend zu verbringen? Nicht in seinem Büro, das ihr wie neutraler Boden erschien, sondern in einem Restaurant – und dann?
Sie wusste es nicht. Ihr Nein kam so spontan, dass sie darüber selbst erschrak. Im gleichen Augenblick tat es ihr leid. Er versuchte
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