Hornblower 04 - Hornblower wird Kommandant
einmal müssen wir noch durch«, sagte der Schiffer unter der stickigen Persenning. »Wenn der Sommer recht trocken war, ist es nicht so schlimm.«
»Bist du naß, Horatio?« ließ sich Maria vernehmen.
»Nein, Liebling«, sagte Hornblower, und diese bündige Verneinung hatte offenbar die gewünschte beruhigende Wirkung, denn alle weiteren Vorstellungen blieben aus.
In Wirklichkeit hatte er natürlich nasse Füße, aber nach elf Jahren Seefahrt empfand er das nicht mehr als besonders aufregend. Viel größeren Kummer machte ihm die zunehmende Müdigkeit in den Beinen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis neues Wassergeplätscher und die Ankündigung des Schiffers,›Jetzt geht's wieder los‹, den zweiten Sturzbach vermeldeten. Im Schneckentempo krochen sie auch unter ihm hindurch, und dann zog der Schiffer endlich mit zufriedenem Gebrumm die Persenning weg. Befreit atmete Hornblower auf und verrenkte sich gleich den Hals, um auszuspähen. War da nicht weit, weit voraus etwas zu sehen? Seine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, und mitten in dieser fast greifbaren Finsternis leuchtete jetzt unendlich fern und noch kaum sandkorngroß ein heller Punkt: die andere Mündung des Tunnels! Die Entdeckung gab ihm neue Kraft, unverdrossen schob er sich weiter voran. Die lichte Stelle wurde größer, das Sandkorn wuchs zur Erbse, und endlich formte sich daraus der Halbmond der gemauerten Öffnung. Zugleich wurde es, wenn auch unendlich langsam, heller um ihn her; schon unterschied er das tiefere Schwarz der Wasserfläche, schon erkannte er die rauhe felsige Fläche des Tunnelgewölbes. Nun hörte der blanke Fels auf, die Wände bestanden wieder aus Ziegeln - kam man da wirklich so viel leichter voran, oder wollte es einem nur so scheinen?
»Schluß!« rief der Schiffer mit einem letzten kräftigen Stoß.
Hornblower schien es unfaßbar, daß er seine Beine wirklich ruhen lassen durfte, daß es endlich wieder Tag um ihn wurde, daß er nicht mehr unter einer erstickenden Persenning zu liegen brauchte, um sich vor den Fluten unterirdischer Quellen zu schützen. Ganz langsam glitt das Schiff aus der Tunnelmündung heraus; aber trotz dieses sachten Übergangs aus dem Dunkel ins Helle und trotz der schwachen Leuchtkraft der Wintersonne war er für eine Weile ganz blind. Das Geschnatter der Passagiere schwoll zu einem Lärm an, der fast so stark war wie vorhin das Brausen der Wasserstürze auf der Persenning. Hornblower setzte sich auf und sah sich blinzelnd um. Auf dem Treidelpfad stand ein Pferdehalter mit zwei Pferden; er fing die Leine auf, die ihm der Schiffer zuwarf, und dann holten sie das Schiff mit vereinten Kräften ans Ufer. Hier stiegen eine ganze Anzahl Passagiere aus und machten sich sogleich, beladen mit ihrem Gepäck und ihren Hühnern, auf den Weg. Andere standen bereits wartend am Ufer und kamen nun an Bord.
Maria trat aus der Kajüte Erster Klasse, der kleine Horatio war jetzt wach und wimmerte leise vor sich hin.
»Horatio...«, begann sie.
»Ja, Liebste?«
Hornblower wußte, daß sie jetzt mit einem einzigen Blick feststellte, wie unordentlich er aussah. Dann folgte natürlich eine Strafpredigt; sie bürstete ihn aus und behandelte ihn wieder einmal, als ob sie über ihn das gleiche mütterliche Verfügungsrecht besäße wie über seinen Sohn. Dazu durfte es nicht kommen, jetzt nicht, er hätte es in diesem Augenblick nicht ertragen, daß ein anderer Mensch über ihn verfügte.
»Verzeih, Liebling, ich bin gleich wieder da«, sagte er, sprang mit einem gewandten Satz an Land und stieg die Böschung zum Treidelpfad hinauf. Dort gesellte er sich zu dem Schiffer, der sich eben mit dem Pferdehalter besprach.
»Wir haben wirklich niemand hier«, betonte dieser grade, »ich möchte wetten, daß du vor Oxford keinen Ersatzmann findest.«
Der Schiffer erhob wieder die gleichen Vorstellungen wie drüben auf der anderen Seite des Tunnels.
»Ja, ja, aber da läßt sich eben nichts machen«, meinte der Pferdehalter weise. »Du mußt schon warten, bis das nächste Fahrzeug kommt.«
»Gibt es denn hier auch keine Ersatzleute?« fragte Hornblower.
»Keinen einzigen, Sir«, sagte der Schiffer und fügte dann nach kurzem Zögern hinzu: »Sie werden wohl keine besondere Lust haben, ein paar Pferde zu kutschieren, wie?«
»Nein, weiß Gott nicht«, gab Hornblower eilig zur Antwort - die Frage hatte ihn so überrascht, daß er gar nicht versuchte, sein Entsetzen über diese Zumutung zu verbergen. Er
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