Armee der Toten
Karina Grischin lächelte spöttisch. »Die soll gefährlich sein?«, fragte sie.
»Und wie.« Der Mann schlug ein flüchtiges Kreuzzeichen. »Gefährlich und tödlich.«
Karina nickte, obwohl sie davon nicht so recht überzeugt war. Aber die Agentin war auch vorsichtig, und sie war eine Person, die endlich wissen wollte, ob die Gerüchte stimmten, die ihrer Organisation zu Ohren gekommen waren.
Sie hatte schon mit ihrem Chef, Wladimir Golenkow, darüber gesprochen. Der war momentan anderweitig beschäftigt, denn ein Überfall tschetschenischer Rebellen auf ein Moskauer Theater zog sehr weite Kreise. Da war auch der Geheimdienst stark involviert. Und so musste Karina Grischin die Stellung halten.
»Was ist daran so gefährlich?«, wollte sie wissen und schob ihre Hand auf die Figur zu.
»Vorsicht, wenn Sie sie anfassen!«, warnte der Überbringer. »Das könnte ins Auge gehen.«
»Ach.«
»Ja, sie hat eine Pistole.« Zum wiederholten Male wischte er Schweiß aus dem Gesicht.
Die Lippen der Frau verzogen sich zu einem Lächeln. »Das sehe ich, aber ich weiß auch, dass es zahlreiche Spielzeuge gibt, die so aussehen und die Kindern geschenkt werden.«
»Nein, das ist kein Spielzeug. Das ist ein Mörder. Sehen Sie es als kleines Monster an.«
»Sicher. Es gibt Aussagen von Menschen, die es bestätigen. Bisher habe ich nicht daran geglaubt, aber jetzt sehe ich den Soldaten vor mir.« Sie hob die Schultern. »Nur kann ich es irgendwie noch nicht glauben. Ich werde darüber nachdenken.«
Der Überbringer wusste, dass er entlassen war. Er warnte Karina Grischin noch mal und wollte sich zurückziehen, aber die Frau im schicken dunkelroten Hosenanzug hatte noch eine Frage.
»Sagen Sie, woher haben Sie die Figur eigentlich?«
Der Mann verkrampfte sich. Er schnaufte plötzlich und wurde rot im Gesicht.
»He, was ist los?«
»Das... das... kann ich nicht sagen.«
»Und warum nicht?«
»Ich habe es versprochen. Ich bin froh, noch zu leben. Aber wenn man den Gerüchten glauben soll, dann ist dieser Soldat nicht der Einzige. Davon gibt es eine Menge. Man munkelt sogar von einer ganzen Armee.«
»Wer munkelt das?«
»Bitte, ich...«
»Wer?«, fragte die Agentin scharf. Ihr entspanntes Gesicht nahm plötzlich einen harten Zug an. »Wenn Sie sich schon so weit aus dem Fenster lehnen, müssen Sie sagen, woher Sie Ihre Informationen bekommen haben. Wer hat Ihnen den Soldaten gegeben? Oder haben Sie ihn gestohlen?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Wunderbar. Es gibt also jemanden, der Bescheid weiß.«
Der Mann nickte.
»Hat er auch einen Namen?«
»Er kennt die Toten. Er hat gesehen, wozu diese Soldaten fähig sind. Er muss so vorsichtig sein. Ich habe ihm das Versprechen abgenommen, nichts zu sagen.«
Karina schaute den Mann vor ihrem Schreibtisch an.
Sie lächelte. »Hören Sie, Jarolin, wir beide wissen genau, für wen wir arbeiten, und wir beide wissen, wem wir verpflichtet sind. In der letzten Zeit haben wir genügend Ärger gehabt. Sie und ich wissen, dass es in unserem Land brodelt. Dass es Kräfte gibt, die immer an einen Umsturz denken. Überlegen Sie mal, wie viele Mächtige inzwischen schon an den Strippen ziehen. Es gibt Banden, die von ihren Verbrechen verdammt gut leben. Es gibt die neuen Multimillionäre, die sich in der so genannten feinen Gesellschaft bewegen und nichts anderes als Verbrecher sind, weil sie ihre Vermögen auf kriminelle Art und Weise gescheffelt haben. Deshalb müssen Sie über Ihren eigenen Schatten springen.« Sie lehnte sich zurück. »Ich will Ihnen noch deutlicher sagen, was ich meine. Wenn es stimmt, dass dieser kleine Soldat gefährlich ist, und wenn es weiterhin stimmt, dass es eine ganze Armee davon gibt, dann werde ich hellhörig, wenn ich mir vorstelle, dass diese Armee in fremde Hände gelangen könnte. Es wäre durchaus möglich, dass einer dieser Verbrecher, von denen ich gesprochen habe, die Kontrolle über sie bekommt. Sollte das geschehen, sehen wir nicht gut aus. Dann könnte ein Terror beginnen, der mir schon jetzt Angst einjagt. Schicken Sie diese Soldaten auf Menschenjagd, werden sie ihre Opfer finden, denn jeder, der sie sieht, traut ihnen alles zu, aber keinen Mord. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?«
»Ja, das habe ich. Deshalb bin ich auch zu Ihnen gekommen. Aber Sie wissen ja selbst, wer ich bin. Wenn herauskommt, dass ich für Sie arbeite, dann bin ich tot. Ich habe mich bisher durchlavieren können. Das ist nun vorbei. Und wenn wir uns
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