Hüttengaudi
Pferdchen zu Boden. ›Heb es auf und bete!‹ Dann erst wurde mir klar, dass er in der anderen Hand etwas hielt, womit er Fischer bedrohte, und als der sich aufrichten wollte, streckte Johannes ihn mit irgendeinem seltsamen schnellen Griff nieder. Seine Hand fuhr hinab. Und ich schwöre: In dem Moment schlug ein Blitz ins Wasser ein. Fischer lag am Boden, irgendwie verkrümmt und hielt sich den Oberschenkel. Johannes hatte ihn im Schwitzkasten. Er war wie von Sinnen. Ich versuchte ihn von Fischer zu lösen und wurde kurz ohnmächtig. Als ich wieder zu mir gekommen war, stand Johannes wie ein Rachegott an der Kante des Speichersees und blickte hinunter. Dann ging er langsam weiter. Ich folgte ihm, bis wir an die Stelle kamen, wo Fischer lag. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, aber ich konnte gar nichts tun. Oder doch: Johannes hatte eine Spritze in der Hand, die konnte ich ihm entwinden. Wir starrten nur Fischer an, bis wir eine Stimme hörten. Von oben kam Martin. Heute weiß ich, dass er oben an der Hütte auf Fischer gewartet hatte. Fischer war aber nicht gekommen, und Martin war bis zum See abgestiegen – entweder weil er das Kreuz sehen wollte oder dachte, er würde Fischer entgegengehen.«
»Weiter.« Irmis Stimme erstarb.
»Martin sah uns, stürzte zu Fischer, fühlte den Puls, schüttelte den Kopf. Fischer muss schon tot gewesen sein. Auch Martin war völlig durch den Wind. ›Helga, was ist hier los?‹, fragte er. Ich weiß nicht, wie ich das sagen konnte, aber ich sagte: ›Herzinfarkt, er hat sich mit Johannes gestritten.‹ Martin sah uns beide an, und eigentlich wäre nun alles zu Ende gewesen. Ich hätte erwartet, dass er die Polizei ruft oder einen Notarzt. Aber er starrte uns an und sagte dann: ›Ich hab damit nichts zu tun, ihr Irren. Hat ja keinen Falschen getroffen.‹ Verstehen Sie? Er ist einfach gegangen. Mal wieder. Und ich habe Johannes talwärts dirigiert, wo ich doch auch hätte einen Arzt rufen müssen. Vielleicht hätte man Fischer noch retten können.« Helga Mayr fiel das Reden schwer.
»Aber Sie wollten Johannes schützen?«
»Ich hab ihn mit zu mir genommen. Er kam langsam wieder zu sich und hat mir die restlichen Ampullen gegeben. Ich hab ihm eingeschärft zu schweigen. Alles zu leugnen. Ich hab ihm versprochen, dass alles in Ordnung kommt.«
»Aber Martin?«
»Ich hatte ja die Ampullen. Ich bin in der Nacht noch nach Oberstaufen gefahren. Ich wollte ihn sprechen, doch er war nicht da. Er hatte mir aber erzählt, dass er früh seine Anwendungen nebenan hat. Es war ganz leicht. Die Kellertür stand offen. Als ich in die Kabine kam, lachte er mir ins Gesicht. ›Helga, es ist dir schon klar, dass ich eure Herzinfarktgeschichte nicht glaube, oder?‹, meinte er provozierend. ›Was willst du tun?‹, hab ich ihn gefragt. Er lachte wieder. ›Zur Polizei gehen, Johannes hat mir mein ganzes Spiel verdorben.‹ Da hab ich ihm die Spritze injiziert. Er hat natürlich versucht, sich aus dem Wickel zu befreien. Dann wurde er bewusstlos. Ich bin gegangen.«
Ich bin gegangen. So einfach war das.
Zwei Mörder – Kathis wüstesten Befürchtungen waren wahr geworden. Das Leben schrieb die bizarrsten Drehbücher.
»Ich werde Sie und Johannes festnehmen müssen«, sagte Irmi.
»Falsch, nur mich. Das war die Geschichte für uns beide. Ich werde auch unter Folter an meiner ersten Version festhalten. Das war meine Geschichte über den Tod hinaus. Wissen Sie, Frau Mangold, meine Inhaftierung wird sich nicht allzu lange hinziehen. Mein Darmkrebs ist im Endstadium. Einmal den Krebs zu besiegen ist das eine. Man lebt mit einer Zeitbombe. Nun kommt die zweite Explosion, Frau Mangold. Viel Zeit bleibt mir nicht mehr.«
»Sie wollen also allen Ernstes weiter leugnen, dass Johannes etwas damit zu tun hat?«
»Natürlich, ich habe meine offizielle Version erzählt und werde sie gern wiederholen. Wieder und wieder.«
»Und wenn Johannes sein Gewissen plagt? Wenn er doch aussagt?«
»Das wird er nicht tun. Ich habe ihm das Versprechen abgenommen. Ich will, dass er da ist, wenn es Margit wieder besser geht. Sie wird es schaffen. Ich werde das vielleicht nicht mehr erleben, aber der Gedanke hilft mir.«
Helga Mayr hatte Johannes gerettet, sie hatte sich geopfert.Für Klaus und seinen Sohn. Was sollte sie tun? Frau Mayr weiteren Befragungen aussetzen? Was würde das nützen? In Irmis Innerem tobte ein Krieg: Recht und Gesetz gegen Gefühl. Sollte der Bessere gewinnen.
Sie dachte an ihren
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