Hungerkralle
ohne dass ich da nicht wenigstens
einmal persönlich antanzen muss.«
»Wegen Meunier?«
Kassner nickte. »Der Flughafen ist zwar groß, aber wie’s
der Zufall will, läuft mir der Scheißkerl womöglich ausgerechnet gerade dann
über den Weg.«
Brennecke machte eine wegwerfende Geste. »Da mach dir
mal keinen Kopf, Otto. Falls es darauf hinausläuft, legen wir den Termin
einfach auf einen seiner dienstfreien Tage. Oder ich vereinbare gegen Abend ein
Treffen, wenn Meunier mit seiner Arbeit fertig ist. Die in der Verwaltung sind
jetzt auch rund um die Uhr im Einsatz.«
Kassner gab Brennecke das Geld zurück.
»Mir ist überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken, weiter in Berlin zu bleiben,
ganz gleich, wie gut die Geschäfte laufen. Wenn den Russen der Geduldsfaden
reißt, kassieren die doch West-Berlin mir nichts, dir nichts ein!«
»Quatsch! Gibt der Westen Berlin auf,
dann stehen die Sowjets einen Monat später am Rhein. Glaub mir, Otto, Stalin
pokert zwar hoch, er wird es aber kaum wagen, das Blatt völlig zu überreizen.«
»Dennoch wäre ich lieber, sagen wir mal,
in Portugal als auf einer blockierten Insel mitten in der S BZ.«
»Geduld, Otto, Geduld! Denk dran, was der
Günter Neumann und seine Truppe immer im RIAS singen: ›Der Insulaner verliert
die Ruhe nicht, der Insulaner liebt keen Jetue nicht!‹ – Mensch, Otto, das sind
für uns momentan doch wahre Goldgräberzeiten! Und sollten die Russen wider
Erwarten doch einmarschieren, habe ich mir natürlich erlaubt, bereits ein wenig
vorzusorgen. Auch für den Fall, dass wir aus irgendeinem anderen Grund
überraschend von hier wegmüssen!« Brennecke griff in seine Jackettinnentasche.
Kassner stieß einen leisen Pfiff aus.
»Alle Achtung, Schweizer Diplomatenpässe! Wie hast du denn die aufgetrieben?«
Brennecke grinste. »Das war mehr oder
weniger ein glücklicher Zufall. Einer von meinen früheren Informanten aus der
Schweizer Botschaft in Stockholm arbeitet seit einer Woche in Berlin. Wir sind
uns schnell wieder handelseinig geworden.«
Kassner zog eine Schreibtischschublade auf. »Zwanzig
Fünfziger haben wir noch. Soll ich versuchen, die im Osten loszuwerden?«
»Das erledige ich schon bei Gelegenheit
mit dem Potsdamer Schieber.« Brennecke steckte die Blüten ein.
20. Kapitel
Die
Luftbrücke
Die von den Alliierten versprochenen
Hilfsgüter für Berlin trafen im Minutenabstand ein, weshalb der Major trotz des
sommerlichen Wetters die Fenster im Büro geschlossen halten musste. Besonders
wenn der Wind ungünstig stand und die dickbäuchigen Skytrain- und
Dakota-Transportmaschinen ihre Motoren Warmlaufen ließen, hätte man sonst das
eigene Wort nicht verstehen können.
Karl und Miller stellten den täglichen Pressespiegel
für Bill Gleason zusammen. Karl hatte dem Major soeben einen Artikel aus der in
Ost-Berlin erscheinenden Berliner Zeitung vorgelesen. Aus »gut
unterrichteten Kreisen« wollte der Verfasser wissen, dass die Alliierten
planten, ihre Luftbrücke in Kürze wieder einzustellen, weil die »technischen,
logistischen und finanziellen Probleme« einer Versorgung Berlins allein auf dem
Luftweg zu groß wären. Außerdem hatte die SMAD eine
Mitteilung abdrucken lassen, dass die Reparaturarbeiten an den Land- und
Wasserverbindungen nach Berlin sich »auf unbestimmte Zeit« hinauszögern würden.
»Das ist Wunschdenken, Mister Charles,
reines Wunschdenken! Egal was den Russen noch an Schikanen einfallen sollte,
wir geben garantiert nicht klein bei! General Clay hat es immerhin sehr
deutlich ausgedrückt: Amerika kann nur durch Krieg aus Berlin vertrieben
werden. Aber falls Sie meine persönliche Meinung wissen möchten, einen Krieg
wird Stalin wegen Berlin nicht riskieren. Säbelrasseln, Zähnezeigen, sich
drohend aufplustern, das ja – Krieg, nein.«
»Ich hoffe, Major, Sie behalten recht.«
Karl glättete den Münchner Merkur. »Hier steht, die U.S. Air Force will
ab morgen die Transportflüge auf täglich hundert Maschinen erhöhen.«
Miller nickte. »Ich war auf der
Pressekonferenz, als Oberst Howley das bekannt gab.«
Was er nach der Konferenz auf einer Krisenbesprechung
im Föhrenweg gehört hatte und Karl nicht erzählen durfte, war eine
Lageeinschätzung von BOB-Informanten aus der S BZ. Die
russischen Truppen hatte man zwar in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, aber
nirgendwo gab es Anzeichen für die Vorbereitung einer größeren militärischen
Auseinandersetzung.
Karl las weiter. Oberst Howley,
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