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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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Angriff
     
    Meine Wände sehen ganz normal aus für einen, der in ein paar Tagen 24 wird und bis jetzt noch nicht wirklich was auf die Reihe gekriegt hat. Keine Poster, keine bunten Farben, dafür bin ich zu alt. Mit 24 hat man wieder weiße Wände, und als Verzierung pappt man sich höchstens hier und da willkürlich aus Zeitschriften rausgerissene Bilder dran. Bisschen Mode, bisschen Fotokunst und, ganz wichtig, ein paar Sachen, bei denen kein Mensch kapiert, was das eigentlich soll, zum Beispiel Guido Westerwelle, der gerade in ein Brötchen beißt, oder ein Orang-Utan, der wie Tom Cruise aussieht (ist aber bisher nur mir aufgefallen). Zwischen den Bildern hängen all die Notizzettel mit Adressen, Terminen und anderem wichtigen Zeug, das ich schleunigst in meinen Kalender eintragen sollte, wenn ich mir endlich einen angeschafft habe. Wirklich alles ganz normal.
    Das Einzige, wofür ich dauernd den Vogel gezeigt bekomme, ist mein Abiturzeugnis. Es hängt direkt neben dem Kopfende meiner Matratze, und jeder fragt mich, was denn nun das bitte schön soll und ob ich nicht wenigstens die Durchschnittsnote 3,4 mit einem Aufkleber abdecken will.
    Ich brauche das Zeugnis aber wegen meiner Alpträume. Die kommen alle paar Wochen. Keine Ahnung, warum. Immer das gleiche Grundmuster: Ich renne schwitzend durch leere Schulflure, weil ich, um in die elfte Klasse versetzt zu werden, eine Prüfung in irgendeinem Fach ablegen muss, von dem ich noch nie was gehört habe. Ich bin viel zu spät dran und weiß noch nicht mal die Raumnummer, geschweige denn, um was es bei Gewässersoziologie überhaupt gehen soll. Eine grauenhafte Lage. Selbst wenn ich am Ende schweißgebadet aufwache, brauche ich immer noch eine ganze Weile, bis ich weiß, dass die Welt eigentlich völlig in Ordnung ist: Hey, Moment mal, es gibt gar keine Prüfung in Gewässersoziologie… und, hey, die Elite hab ich doch schon geschaut… und die Zwölfte sogar auch… und… ach ja, ich hab sogar schon Abitur… und, hm, ich hab sogar schon ziemlich lang Abitur, hab schon eine Schlosserlehre angefangen und abgebrochen und ein Anthropologiestudium auch. Warum träume ich eigentlich noch von der Schule?
    Wenn nun mein Abiturzeugnis das Erste ist, was ich nach dem Aufwachen sehe, läuft dieser Prozess wenigstens etwas schneller ab.
    Heute träume ich aber keinen Schulalptraum. Ich träume von Amelie. Ich tummle mich mit ihr in der Luxussuite des neuen Airbus A380, den sie gestern Abend in den Tagesthemen gezeigt haben. Lustigerweise ist alles mit Flokati-Teppichen ausgelegt, und auch die übrigen Details scheinen allesamt aus 70er-Jahre-Pornofilmkulissen zu stammen. Amelie ist in das große weiße Badetuch eingehüllt, in dem sie früher immer über unseren WG-Flur gehuscht ist, wenn sie geduscht hatte. Sie lächelt ihr wunderbares Lächeln, und die Spitzen ihrer leicht feuchten hellbraunen Haare umschmeicheln ihre zarten Schultern. Sie sagt nichts. Aber irgendwie kann ich fühlen, dass gleich… Oh, sie nimmt meinen Kopf in ihre von der Dusche noch ganz warmen Hände, und ihr Mund nähert sich meinem linken Ohr. Von der anderen Seite kommt Amelies beste Freundin Julia dazu. Das Tigerfell, das sie sich um die Brust geschlungen hat, verdeckt kaum das Nötigste, und ihre wilde blonde Lockenmähne wippt im Takt zum leisen Easy-Listening-Gedudel im Hintergrund. Sie widmet sich meinem anderen Ohr. Ich spüre ihre warmen Lippen. Es kitzelt, als ihre kleine Zunge in meinen Gehörgang eindringt, und ich schließe die Augen.
    Und dann brüllen beide plötzlich
    »GROOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOH!!!«
    Ich wache sofort auf, sehe mein Abiturzeugnis an und hoffe kurz, dass es auch Amelie und Julia ihre normalen Stimmen wiedergeben kann, aber ich höre immer noch »GROOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOH!!!«, und während sich meine Augen langsam auf die Worte »Allgemeine Hochschulreife« scharf stellen, klafft plötzlich genau an dieser Stelle ein Loch im Papier auf, Staub- und Mauerwerksbrocken fliegen mir um die Ohren und irgendwas Großes, Spitzes, Vibrierendes nähert sich langsam, aber unaufhaltsam meiner Stirn.
    Ich erkenne nicht gleich, was es ist. Dazu ist die Perspektive zu ungewöhnlich. Klar ist aber, dass etwas, das mir nichts, dir nichts mein Abiturzeugnis zerstört, wild vor meinem Gesicht hin- und herzuckt und dabei »GROOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOH!!!« macht, nichts Gutes bedeuten kann, und so kontere ich, noch bevor das Wort Presslufthammer in meinem Kopf Form angenommen

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