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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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die Sache anders aus!« schrie der Colonel. Die Lautstärke hat seine Stimme völlig verändert, dachte Jakob. Er fühlte sich schwindlig. Die Narbe an seiner Schläfe begann zu pochen. Das Gesicht rötete sich und nahm einen idiotischen Ausdruck an, wie stets, wenn Jakob Formann ganz intensiv nachdachte. Seine gesamte Intelligenz stülpte sich dann sozusagen nach innen, und für die Fassade (das Gesicht zum Beispiel) blieb nichts, aber auch gar nichts übrig. Er wirkte stets wie ein armer Trottel, wenn er gerade alles andere als ein armer Trottel war. Raum und Zeit verschwammen für ihn, und gleich einem eigenwilligen Echo von des Colonels Gebrüll schmetterte eine andere Stimme in Jakobs innerem Ohr: »Nun, deutsches Volk, gib mir die Zeit von vier Jahren und dann urteile und richte mich!«
    Es war die Stimme des Adolf Hitler.

5
    1933, am 1. Februar, war es, als der Kerl das geschrien hat. Noch in Deutschland. Da war ich dreizehn Jahre alt. Und im Gymnasium. Ich war ein schlechter Schüler, von Latein über Physik bis Mathematik in allen Fächern der Faulste – der ›Klassen-Idiot‹. Aber ein schlauer Idiot, weiß der Himmel.
    1938 schrie der Kerl noch immer, jetzt auch in Wien. Eigentlich hätte ich 1938 die Matura machen müssen. (Abitur nennen sie das in Deutschland.) Habe ich? Einen Dreck habe ich! Ein Jahr vorher haben sie mich nämlich aus der Schule gefeuert. Weil ich ihnen wohl
zu
schlau gewesen bin. Und zu frech. Also habe ich mich halt ein bißchen beschäftigt, bis zum Februar 1939. Und, wupp, war ich auch schon beim Reichsarbeitsdienst. Steine klopfen. Autobahn bauen. In verstunkenen Baracken schlafen. Abitur? Ha! Nach einem halben Jahr Arbeitsdienst bin ich sofort zum Barras überstellt worden. In eine verstunkene Kaserne. Und habe ich strammstehen gelernt. Griffe kloppen, Menschen töten. In der Deutschen Wehrmacht. Am 1. September 1939 ist es dann losgegangen. Noch im gleichen Jahr war ich schon im schönsten Schlamassel. Bin drin geblieben, bis ich in Gefangenschaft geriet, 1945. Aus der habe ich mich dann selber entlassen; aber das steht nicht zur Diskussion. 1945, im November, bin ich in Wien angekommen. Abgerissen, ausgehungert, halb erfroren. Haus weg. Eltern weg. Alles weg.
    »Gib mir die Zeit von vier Jahren …«
    Vier Jahre!
    Ich habe ihm
sieben
Jahre gegeben, dem Sauhund! Sieben Jahre habe ich ihm geben müssen wie so viele Millionen andere arme Kerle. Erstaunlicherweise lebe ich noch. Aber wie! Als ›Civilian Guard‹. Bin nichts. Habe nichts. Außer meinen Leckt-mich-am-Arsch-Standpunkt. Den will ich auch behalten! Aber je länger ich mir das Theater ansehe, das dieser idiotische Colonel da mit den vierzigtausend Westmoreland-Küken aufführt, das Theater, das sie alle, alle diese verehrungswürdigen Sieger aufführen mit den vierzigtausend Küken, desto größer wird meine Wut über die verlorenen Jahre. Ich habe den Krieg nicht angefangen. Jetzt wollen wir doch mal sehen, ob ich ihn wirklich verloren habe, Himmel, Arsch und Zwirn! Diese blödsinnigen Eier …
    Eier? Mit Eiern hat’s doch schon mal was gegeben in meinem Leben! Ich muß mich nur daran erinnern! Wie war das bloß? Und wo? Das wird mir schon wieder einfallen.
Muß
mir wieder einfallen. Denn jetzt hole ich mir meine verlorenen Jahre zurück, verflucht! Jetzt führe ich
meinen
Krieg,
meinen eigenen Krieg
, verdammt! Auf
meine
Weise! Zu
meinem
Wohle! Auf
eigene
Rechnung und Gefahr! Für
mich
 – und nicht für Ehre, Führer, Vaterland und diesen ganzen Scheiß! Ich habe die Schnauze voll! Gestrichen voll! Nun laßt mich mal ran! Nun gebt auch mir mal ein paar Jahre Zeit! Sieben Jahre Zeit gebt mir, ihr Hohen Herren ringsherum, und dann urteilt und richtet
mich!
    Himmelherrgottnochmal, wenn ich bloß wüßte, wie das damals mit den Eiern war!
    Langsam. Von vorn.
    In Krakau war es, das weiß ich bestimmt.
    Was war das? Was? Ich muß es genau wissen, dann kann ich dieses Rindvieh von Colonel vielleicht reinlegen und
meinen
Krieg anfangen! Krakau … Krakau … Im Lazarett lag ich da mal … Das Lazarett war in der Universitätsklinik … Und da war die blonde Friederike … Süßes Mädchen … Hat in der Klinik gearbeitet … Und mir erzählt, was sie da machen. Was sie da machen … etwas mit Eiern … Was haben sie da bloß gemacht mit den Eiern?

6
    Das Band ist inzwischen weitergelaufen. In seiner Erinnerung an die Zeit in Krakau wühlend, hörte Jakob das Gekläff des Colonels, der nun den Diensthabenden

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