Hustvedt, Siri
Wortwechsel
zwischen den Mädchen klangen bis in den Abend in meinem Kopf nach wie eine lästige
alte Melodie, eine, die ich, wie mir klarwurde, nie wieder hatte hören wollen.
Die Mädchen
und ihre knospenden Körper mögen ein indirekter Beschleuniger für das Projekt gewesen
sein, das ich am selben Abend startete. Es diente als Methode, die allnächtlich
kommenden Dämonen zu bannen, die alle den Namen Boris trugen und alle verschieden
lange Messer schwangen. Dass ich mehr als mein halbes Leben mit diesem Mann verbracht
hatte, bedeutete ja nicht, dass es keine Zeit vor Boris (von nun an gekennzeichnet
als v. B.) gab. Es hatte in jener lange versunkenen Ära auch Sex gegeben, wollüstigen,
schmutzigen, süßen und traurigen. Ich beschloss, mein Fleischesglück und -Unglück
in einem unberührten Heft zu katalogisieren, die Seiten mit meiner eigenen pornographischen
Geschichte zu besudeln und mein Bestes zu tun, sie ehemannfrei zu halten. Die anderen,
hoffte ich, würden meine Gedanken von dem einen ablenken.
1. Eintrag.
War ich sechs oder sieben? Ich würde sagen, sechs, aber ich bin mir nicht sicher.
Im Haus meiner Tante und meines Onkels in Tidyville. Mein älterer Cousin Rufus fläzt
sich auf dem Sofa. Wenn ich sechs war, war er zwölf. Andere Familienmitglieder
waren auch da, erinnere ich mich, es herrschte ein Kommen und Gehen. Es war Sommer.
Sonnenlicht schien durchs Fenster, machte Staubkörner sichtbar, ein Ventilator blies
aus der Ecke. Als ich am Sofa vorbeiging, zog Rufus mich auf seinen Schoß, nichts
Ungewöhnliches. Wir waren Cousin und Cousine. Er fing an, mich zwischen meinen Beinen zu reiben, oder eher zu kneten,
als wäre ich Teig, und ein seltsames warmes Gefühl stellte sich ein, eine Kombination
aus gedämpfter Erregung und einem Empfinden des Nicht-ganz-Richtigen. Ich legte
die Hände auf seine Knie, stieß mich ab, rutschte von seinem Schoß und ging weg.
Diese Fummelei im Vorübergehen muss als meine erste sexuelle Erfahrung gelten.
Ich habe sie nie vergessen. Obwohl es kein bisschen traumatisch war, war es neu,
eine Neugier, die einen deutlichen Eindruck in meinem Gedächtnis hinterlassen hat.
Meine Sicht des Ereignisses, von dem ich außer Boris nie jemandem erzählte, kann
sicher als das gelten, was Freud «Verschiebung» nannte - frühe Erinnerungen, die
mit dem Älterwerden eine andere Bedeutung annehmen. Wäre ich nicht so schnell geflohen,
wäre ich nicht imstande gewesen, meinen eigenen Willen zu behalten, hätte die Belästigung
womöglich eine Narbe hinterlassen. Heutzutage gälte sie als Straftat und könnte
bei Entdeckung einem Jungen wie Rufus einen Gefängnisaufenthalt oder eine Sexualtherapie
einbringen. Rufus ist Zahnarzt geworden und spezialisiert sich jetzt auf Implantate.
Als ich ihn das letzte Mal sah, trug er eine Zeitschrift mit dem Titel Implantology bei sich.
2. Eintrag. Lucy Pumper verkündete mir im Schulbus: «Ich weiß,
dass sie es tun müssen, um
Kinder zu kriegen, aber müssen sie sich dabei ganz ausziehen?» Lucy war katholisch — eine exotische Kategorie:
Weihrauch, Soutanen, Kruzifixe, Rosenkränze (alles heiß begehrt) -, und sie hatte
acht Geschwister. Ich beugte mich ihrem überlegenen Wissen. Mein Blick in diesen
bestimmten Spiegel war dunkel, und ich hatte nichts zu sagen. Ich war neun Jahre
alt, und mir war vollkommen klar, dass ich irgendeine Spiegelung entdecken würde,
wenn ich deutlich genug hinschaute, aber wenn ich nach vorn blickte, hatte ich keine
Ahnung, was ich sah. Ganz ausziehen?
Ein Nebeneintrag:
Ich kann mein Versprechen nicht halten. Sein Haar war damals dunkel, fast schwarz,
und es hing kein loses weiches Fleisch unter seinem Kinn. Als er mir im Hungarian
Pastry Shop gegenübersaß, erläuterte er mir langsam und deutlich seine Forschung
und zeichnete mit seinem Bic-Kugelschreiber ein Modell auf die Serviette. Ich beugte
mich vor, um es mir anzusehen, folgte einer der Linien, die er mit meinem Finger
gezogen hatte, und blickte zu ihm auf. Elektrisierte Luft. Er legte seine Hand auf
meine und drückte meine Finger gegen den Tisch, aber ich spürte es zwischen den
Beinen. Ich merkte, wie sich mein Kiefer lockerte und mein Mund aufging. Meine Liebe
war gewaltig, nicht wahr? Nicht wahr?
Ich schreie.
In all diesen Jahren kamst du immer an erster Stelle! Du, nie ich! Wer hat stundenlang
geputzt, den Haushalt gemacht, sich mit dem Einkauf herumgeschlagen? Du? Der gottverdammte
Herr des Universums! Der phallische Übermensch
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