Ich bin ein Fundbüro - mein Alltag mit Kindern
Ich bin ein Fundbüro: Alles muss raus!
Wer Kinder hat, der sucht. Und wer sucht, der findet – nicht unbedingt das, was er sucht. Aber vielleicht das, was er nicht sucht. Bleibt die Frage: Wohin mit all den Fundstücken?
Manchmal fühle ich mich wie Frederick, die Feldmaus aus Leo Lionnis Bilderbuchklassiker 1 : Wenn ich so durch mein Leben als berufstätige Mutter streife, muss ich einfach sammeln. Ich sammle Stimmungen, glückliche Umstände, unglückliche Missgeschicke – am allerliebsten aber sammle ich Wörter und kleine Geschichten.
Neulich Morgen zum Beispiel als Clara, unsere ältere Tochter, ihren Hausschlüssel nicht finden konnte. »Na gut«, sagte ich schließlich, »nimm meinen. Aber heute Abend suchst du weiter!« »Jaja«, sprach unser Kind und rannte zum Schulbus. Am frühen Nachmittag würde sie vor mir zurück sein und mir die Tür aufmachen – dachte
ich. Doch als ich ungefähr sechs Stunden später von der Arbeit kam und auf den Klingelknopf drücken wollte, informierte mich ein unübersehbarer Zettel an unserer Haustür darüber, dass dies vergebens sein würde: »Mama, ich bin bei Emily«, stand darauf, »aber guck mal unter die Matte….«
Ich guckte unter die Matte – und ich vermute, dass in den verregneten Vormittagsstunden dieses Märztages noch viele andere grinsend unter die Matte geguckt hatten: Vor meinem geistigen Auge erschienen jedenfalls kleine Zettelchen: »Vielen Dank für den leckeren Rotwein und die EC-Karten- Pin«. Oder: »Beim nächsten Mal bringe ich meinen Schwager zum Tragen mit – und nehme noch das Klavier«.
Aber unter der Matte lagen keine Zettel. Da lag nur der Schlüssel. Und auch in der Wohnung war noch alles an seinem Platz.
Was macht man mit diesem hübschen, kleinen Fundstück? Einfach unter die Matte kehren? Ab in den Müll zu all den anderen Dingen, die im Familienalltag vergessen und verloren werden. Nein, nein – das bringe ich nicht übers Herz!
Stattdessen stopfe ich die kleine Geschichte hinten links in mein Gedächtnis. Das Gleiche mache ich mit den orthographischen Neuschöpfungen, die Jette, unsere jüngere Tochter, neuerdings mit großem Eifer produziert: »Ost-Harn« zum Beispiel (es handelt sich um einen hohen christlichen Feiertag). Oder: »Forsicht! mama schpint« (es handelt sich um einen Racheakt,
nachdem wir unserem Kind verboten haben »Wilde Kerle 1« zu gucken). Und irgendwo liegt auch noch der Schubladen-Zusammenschraubrekord von Jochen, meinem Mann: Er brauchte für zwei Schubladen trotz schwedischer Bauanleitung bloß neun Minuten – und die Schubladen funktionieren einwandfrei: Sie gehen auf, sie gehen zu und füllen sich mit Sachen, die wir nicht hätten, wenn es die Schubladen nicht gäbe…
Ich sage mir bei all diesen alltäglichen Merkwürdigkeiten immer: Wer weiß, wozu du das noch gebrauchen kannst! So wird mein Fundbüro immer voller.
Leider. Denn Fakt ist: Fundbüros in geistigen Hinterstübchen neigen nicht nur zur Überfüllung. Sondern auch zur Vermüllung. Seit einem Jahr bin ich pausierende Kolumnistin. Seit einem Jahr holt bei mir keiner mehr was ab, seit einem Jahr räume ich nicht mehr auf: Nicht im letzten Herbst, nicht im letzten Winter und nicht mal an Ost-Harn!
Neulich rief mich mein Mann im Büro an und bat mich, auf dem Heimweg noch drei Liter Milch und einen Sack Äpfel zu besorgen.
Ich schrieb, während ich von der Redaktion aus mit meinem Mann telefonierte, gerade eine Mail an eine Leserin, die wissen wollte, welche Obstsorten bei Kindern besonders häufig Allergien auslösen. Ich tippte: Ananas, Kiwi, Mandarinen…. Die Leserin schrieb außerdem, dass ihr Kind beim Einschlafen immer darauf bestehe, dass sie eine Brotzeitdose am Fußende des Kinderbettes deponiere und ob das bedenklich sei.
Was für ein originelles Fundstück aus dem Alltag mit Kindern, dachte ich und stopfte die Geschichte mit der Brotzeitdose in die rechte hintere Gehirnwindung.
Am Abend kam ich mit einem Brot und einer Ananas nach Hause. Und Jochen wurde ziemlich sauer: Es ginge nicht an, dass meine kleine grauen Zellen vor lauter unsortierten Geschichten so verstopft seien, dass ich im richtigen Leben eine Ananas nicht mehr von einem Apfel unterscheiden könnte.
Mein Mann hat recht. Und deshalb werde ich gleich heute damit beginnen, aufzuräumen in meinem Kopf. Ich werde mir meine Fundstücke endlich mal genauer anschauen. Ich werde sie sortieren und ins rechte Licht rücken. Dabei werde ich viel Spaß haben. Und das
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