Ich bin ein Mörder
aber in fremder Umgebung bekam sie die Zähne nicht auseinander. Wahrscheinlich hatte es an Mischa gelegen. Seine Nähe bot ihr Deckung.
Routiniert entlud sie ihre Waffe, verstaute diese im Safe in der untersten Ecke des Kleiderschranks und das Magazin mit der Munition in der Küche. Nun nur noch das Feierabendjoghurt aus dem Kühlschrank holen und ab auf die Couch. Zufrieden kuschelte sie sich in die Kissen und angelte nach ihrer Lektüre. Ein Stapel Tageszeitungen und Stockmanns bestialisch guter Thriller. Dreimal hatte sie ihn bisher gelesen. Aber jetzt erschien er ihr interessanter als je zuvor. Sie zog den Deckel vom Joghurtbecher und leckte ihn genüsslich ab, während ihre Augen noch einmal den Zeitungsbericht überflogen. Von ihr war gar nicht wirklich die Rede. Nur unter dem Foto stand:
»Frankfurter Mordkommission schickt Kommissarin zum Verhör in die Lesung eines Bestsellerautors auf der Buchmesse.«
Und im Text dann die Frage, ob man ihn wohl tatsächlich verdächtige, ein Mörder zu sein. Daneben, weit größer als das Foto von ihr, ein Porträt Stockmanns. Mit diesem Blick. Von unten, an der losen Haarsträhne vorbei, die linke Augenbraue leicht hochgezogen, mit spöttischem Lächeln. Direkt in die Augen. In den Magen.
Sie schob einen Löffel Joghurt in den Mund und seufzte. Lecker. Viel zu lecker. Entschlossen schubste sie Stockmann vom Sofa.
Wenn sie nur wüsste, wer für die Rosen verantwortlich war. Noch während des morgendlichen Kaffeeklatsches, die erste Lieferung. Als ob das mit dem Foto nicht genug gewesen wäre. Vielleicht ein gemeinschaftlicher Scherz der lieben Kollegen. Rosen für die Kommissarin. Nicht Rosen für den Staatsanwalt. Da gab es doch ein Buch, oder war es ein Film? Egal.
Den Jungs würde bald der Spaß an diesem Spiel vergehen. Sie nahm es demonstrativ nicht wichtig und das Spiel kostete die Kerle eine Menge Geld. Von Schnittblumen verstand sie nicht viel, aber diese hier waren edel. Als der Bote zur Tür hereinkam und ihr die Rosen in die Hand drückte, hatte Alexandra ein wunderbar dämliches Gesicht gemacht. Fred schaffte es, rechtzeitig sein Handy zu zücken und den Augenblick auf einem verwackelten Bild zu verewigen. War ja klar. Schwer zu widerstehen. Hätte sie genauso gemacht an seiner Stelle.
Auch nicht schwer zu erraten, dass dieses Foto morgen einen Platz am Schwarzen Brett einnehmen würde. Vermutlich mit einem Fahndungsaufruf. »Gesucht wird: der heimliche Verehrer, der Kollegin Müller mit Rosen überhäuft.« Oder so ähnlich. Ein echter Verehrer, wenn es so etwas heute überhaupt noch gab, hätte eine Karte mitgeschickt. Oder die Blumen nach Hause liefern lassen und nicht auf die Dienststelle. Aber auf so einen musste sie nicht warten. Romantik fand in ihrer Welt nicht statt. Gereizt klopfte sie sich mit dem Löffel gegen die Zähne.
Wieso eigentlich nicht? Wo bleibt mein jugendlicher Held?
Sie schleuderte den Thriller ans Fußende der Couch, stand auf und räumte den Abfall in die Küche.
In der hintersten Ecke des Küchenschranks lag gut versteckt eine einsame Tafel Schokolade. Ungeduldig riss sie die Verpackung auf und biss gierig hinein. Mit geschlossenen Augen stöhnte sie auf. Gutes Essen ist der Sex des Alters, pflegte ihre Mutter zu sagen, wenn ihr Vater sich über seine Speckröllchen beschwerte.
Bin ich schon so weit, wenn mir ein Stück Schokolade solche Laute entlockt? Ihr Blick streifte die Rosen. Ach nein. Romantische Liebe. Das war der wunde Punkt. Sie schnappte die Fernbedienung mit der einen, die Kuscheldecke mit der anderen Hand und plumpste zurück auf ihren Lieblingsplatz.
»Roschamunde, wo bischt du?«, brummelte sie, die Tafel Schokolade zwischen den Zähnen, und zappte eifrig durch die Kanäle. Irgendwo lief immer eine Rosamunde-Pilcher-Verfilmung. Oder etwas ähnlich Sentimentales.
»Na bitte, geht doch!«
Eine einsame Hütte am Fjord und ein gut gebauter Skandinavier. Was brauchte sie mehr für einen einsamen, herzergreifenden Fernsehabend? Ihre Zähne gruben sich erneut in die Schokolade.
»Scheische, wo schind die Taschentüscher?«
Dienstag, 16. Oktober
Der nächste Morgen hielt eine weitere Überraschung für sie bereit. Diesmal kam kein Bote. Vor der Wohnungstür lag eine einzelne Rose. Und eine Karte.
Wenig später stand Alexandra im Polizeipräsidium, klopfte energisch an eine Bürotür und öffnete, ehe jemand antworten konnte. Hinter dem Schreibtisch saß Kriminalhauptkommissar Conrad Neumaier,
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