Ich bin ein Mörder
Stockmanns Aufmerksamkeit richtete sich dorthin. Doch ehe er den Kopf drehte, zwinkerte er Alexandra kaum merklich zu. Etwas Verwegenes, Verheißungsvolles lag in diesem Blick.
»Aufgeblasener Blender.« Mischa atmete auf, als der Scheinwerfer die Richtung änderte.
»Wieso? Der ist doch klasse. Supercool.«
»Pschscht!« Zischte es von hinten. Ungeachtet der missbilligenden Blicke, flüsterte sie weiter.
»Du solltest dieses Buch mal lesen, das zieht dir die Schuhe aus. So was Gruseliges und hemmungslos Mordendes hast du noch nicht erlebt.«
»Danke, verzichte lieber.« Mischas Kommentar ging im erneuten Zischen unter. Leser und Journalisten stellten weitere Fragen, ohne jedoch eindeutige Antworten zu erhalten. Dann verabschiedete sich Tobias Stockmann und verließ das Podium, um Autogramme zu geben und Bücher zu signieren. Kaum war der Applaus verebbt, nahm Alexandra das Gespräch wieder auf, als hätte sie nur einmal kurz Luft geholt zwischen zwei Sätzen.
»Das ist der Hammer, wie der die Morde schildert. Alles in Ich-Form. Kann mir echt nicht vorstellen, wie man das hinkriegt, ohne dass einem selbst schlecht wird beim Formulieren. Und dazu beschreibt er den Mörder genau nach seinem eigenen Bild. Verstehst du? Der zieht diese Nummer konsequent durch. Als der vorhin hier reinkam, blieb mir fast das Herz stehen, weil ich sofort dachte: Der Mörder kommt persönlich. Das ist echt …«
»Echt supercool? Du klingst, wie ein Bravo lesender Teenager. Fehlt nicht viel und du fällst kreischend in Ohnmacht.«
»Zum Glück habe ich dich dabei, um auf mich aufzupassen!«
»War mir ein Vergnügen.«
Eine glatte Lüge. Es war nicht zu übersehen, dass er froh war, die Lesung hinter sich gebracht zu haben.
»Auch wenn du dich nicht wirklich amüsiert hast, liebster aller Kollegen, es war eine sup– nein ich verwende besser ein anderes Wort – eine tolle Idee, mir die Einladung zur Buchmesse zu schenken.«
Er brummte etwas Unverständliches und fuhr sich verlegen mit der flachen Hand über die kurz geschorenen Haare. Die meisten waren mittelbraun oder blond. Ein paar graue mogelten sich dazwischen, seit er die Dreißig überschritten hatte. Modell Straßenkötermischlingshund, nannte Alexandra das. Ihr eigener Farbton kam seinem ziemlich nahe.
»Was nuschelst du?«, fragte sie jetzt und schubste ihn gut gelaunt.
»Ist schon gut. Wir könnten vielleicht …«
»Alexandra!«
Durch die Menge der Messebesucher, die zum Stand des Hessischen Rundfunks strömten, drängte sich ein hochgewachsener Mann mit Kameratasche und Notizblock unter dem Arm.
»Ich wusste, dass du das bist! Noch bevor du deinen Namen gesagt hast. So unverschämt schreit nur eine herum.«
»Jörg! Das gibt es nicht – wo kommst du denn her?«
Herzlich umarmten sie einander.
»Das ist ja supercool, entschuldige Mischa, das ist … jetzt weiß ich nicht mehr, was ich sagen soll!«
»Hört, hört!« Mischa grinste, sah aber nicht wirklich fröhlich dabei aus.
»Also«, Alexandra packte beide Männer am Arm, »das schmächtige Kerlchen neben mir ist mein Kollege Mischa. Thomas Michalczyk, der sich den Streifenwagen mit mir teilt.«
»Mein herzliches Beileid.« Jörg reichte ihm die Hand und schüttelte sie kräftig. »Ganztags Alexandra ist fast so schlimm wie lebenslänglich, was? Schmächtiges Kerlchen!«
Er musterte den breitschultrigen, vierkantigen Mann, der nur aufgrund seines Körperbaus größer wirkte als Alexandra. Tatsächlich waren sie exakt gleich groß.
»Und das hier ist Jörg Weber, wie man sieht ein professioneller Schreiberling. Wir haben uns ewig nicht gesehen. Ein uralter Freund von meinem großen Bruder. Uralt kannst du dabei wörtlich nehmen. Inzwischen, warte, satte 43 Jahre alt, wenn ich mich nicht irre? Also ziemlich genau zehn Jahre älter als du, Kleiner.«
Mischa hasste es, wenn sie ihn so nannte – wie sie sehr genau wusste. Weniger wegen der drei Jahre Altersunterschied als wegen seiner Körpergröße.
»Freut mich.« Eine Menge kleiner Fältchen um die tiefblauen Augen zeugten davon, dass Jörg Weber weder einem guten Witz noch der Sonne widerstehen konnte. Die schwarzen Haare waren planmäßig zu einer chaotischen Windstoßfrisur gegelt. Out-off-bed-style.
»Wollen wir einen trinken gehen, Alexandra? Wiedersehen feiern und so? Ich muss zwar nachher noch mal in die Redaktion, aber ein bisschen Zeit habe ich.«
Jörg packte sie an dem langen, geflochtenen Zopf, der über ihre Schulter baumelte,
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