Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Leuten, die unsere wertvollsten Bäume fällten und ihr Holz außer Landes schmuggelten. Und dann kassierten sie wieder, wenn sie die Lastwagen passieren ließen.
Mittlerweile erreichten sie mit ihrem Radiosender das ganze Tal und die Nachbardistrikte. Wir hatten zwar noch immer den Fernseher, doch die Taliban hatten alle Kabelkanäle abgeschaltet. Nun konnten Moniba und ich uns nicht mehr unsere Lieblings-Bollywood-Show
Shararat
oder
Making Mischief
anschauen.
Die Taliban wollten uns offensichtlich gar nichts machen lassen. Sie verboten sogar eines unserer Lieblings-Brettspiele namens Carrom, bei dem wir Spielsteine über ein Holzbrett schnippen. Hörten sie Kinder lachen, stürmten sie den Raum und zerschlugen die Bretter. Wir hatten das Gefühl, die Taliban hielten uns für Puppen, die sie nach Belieben tanzen lassen konnten. Sie sagten uns, was wir zu tun und zu tragen hatten. Wenn Gott gewollt hätte, dass wir so sind, hätte er uns nicht so verschieden erschaffen.
Eines Tages sahen wir unsere Lehrerin Miss Hammeda. Sie war ganz in Tränen aufgelöst. Ihr Mann war Polizist in dem kleinen Städtchen Matta. Fazlullahs Männer hatten die Polizeistation gestürmt und einige der Polizisten getötet. Unter ihnen war auch ihr Mann gewesen. Noch nie zuvor hatte es in unserem Tal einen Angriff der Taliban auf die Polizei gegeben.
Bald hatten die Taliban eine große Anzahl von Dörfern eingenommen, und auf den Polizeistationen tauchten nach und nach die schwarz-weißen Fahnen von Fazlullahs TNSM auf. Die Kämpfer kamen mit ihren Megafonen in die Dörfer, und die Polizisten flohen. Innerhalb kurzer Zeit hatten sie 59 Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht und eine parallele Verwaltung aufgebaut.
Die Polizisten hatten solche Angst, erschossen zu werden, dass sie Annoncen in die Zeitungen setzen ließen, um zu verkünden, sie seien aus dem Polizeidienst ausgeschieden.
Niemand unternahm etwas gegen all diese Vorfälle. Es war, als hätte eine Art Trance die Menschen erfasst. Mein Vater sagte, Fazlullah habe die Menschen verführt. Einige hatten sich sogar seinen Männern angeschlossen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Mein Vater versuchte, eine Form der Gegenpropaganda zu starten, doch das war mehr als schwer. »Ich habe keine Guerilla und keinen Radiosender«, scherzte er.
Einmal begab er sich sogar in das Dorf des Radio-Mullahs, um dort an einer Schule zu sprechen. Als er in einem der provisorischen Sessellifte mit den Blechtonnen an einem Seil saß, die wir nutzen, um den Fluss zu überqueren, sah er eine Rauchsäule aufsteigen. Der schwarze Rauch berührte die Wolken, so hoch stieg er. So etwas hatte mein Vater noch nie gesehen. Zuerst dachte er, es sei vielleicht eine Fabrik zum Ziegelbrennen, was da so qualmte, aber als er näher kam, erkannte er bärtige Gestalten mit Turbanen, die eifrig Fernsehapparate und Computer zusammentrugen und ins Feuer warfen.
In der Schule sagte mein Vater zu den Menschen: »Ich habe gesehen, wie ihr diese Apparate verbrannt habt, aber die Einzigen, die davon profitieren werden, sind die japanischen Firmen, die jetzt mehr solcher Geräte produzieren können.« Da trat ein Mann neben ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Hören Sie auf, solche Sachen zu sagen, das ist gefährlich.«
Doch der Staat und die Menschen landauf, landab sahen zu und unternahmen nichts.
Mir schien es, als wäre das ganze Land verrückt.
Im Rest von Pakistan war man währenddessen mit anderen Dingen beschäftigt – die Taliban waren nämlich ins Zentrum von Islamabad vorgerückt. Wir sahen in den Nachrichten Bilder der »Burka-Brigade«, junge Frauen und Mädchen wie wir in Burkas, die im Zentrum von Islamabad mit Stöcken auf Läden losgingen, die CD s und DVD s verkauften.
Sie kamen von der Jamia-Hafza-Madrasa, der größten Madrasa für Frauen, die es bei uns gibt. Sie ist der berühmten Lal Masjid, der Roten Moschee von Islamabad angegliedert. Die Moschee wurde 1965 errichtet, sechs Jahre nachdem die Hauptstadt von Karachi nach Islamabad verlegt worden war. Ihren Namen verdankt sie der roten Farbe ihrer Mauern. Sie liegt unmittelbar im Zentrum von Islamabad, nur ein paar Blocks entfernt vom Parlament und der Zentrale des militärischen Geheimdienstes ISI . Viele Regierungsbeamte und Militärs gingen dorthin zum Gebet.
Die Moschee hat zwei Madaris, eine für Mädchen und eine für Jungen. Dort wurden seit Jahren Freiwillige angeworben und ausgebildet, die in Afghanistan und Kaschmir
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