Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
hatten. Dann trat ich bei Geo auf, einem der größten Kabel- TV -Kanäle in unserem Land. Im Büro dort war eine ganze Wand voller Fernsehschirme. Ich war völlig baff, wie viele Kanäle existierten. Danach dachte ich: Die Medien brauchen Interviews. Sie wollen Interviews mit Mädchen, und niemand gibt ihnen eines, weil die Mädchen Angst haben. Selbst wenn das nicht der Fall ist, dann erlauben es die Eltern nicht. Ich hatte einen Vater, der keine Angst hatte und der hinter mir stand. Er sagte: »Du bist ein Kind, es ist dein gutes Recht, laut deine Meinung zu sagen.« Er ermutigte mich immer, und je mehr Interviews ich gab, desto stärker fühlte ich mich und desto mehr Unterstützung erhielten wir. Also ließ ich mich auf noch mehr Interviews ein. Die Fernsehleute mochten mich. Ein Journalist nannte mich einmal »
takra jenai
– hell leuchtende junge Dame«. Ein anderer sagte zu mir:
pakha jenai,
»Du bist stärker an Weisheit als an Jahren«. Tief im Herzen glaubte ich, dass Gott mich beschützen würde.
Wenn ich mich für meine Rechte einsetze, für die Rechte junger Mädchen, dann tue ich nichts Falsches. Es ist meine Pflicht, so zu handeln. Gott will sehen, wie wir uns in solchen Situationen verhalten. Im Koran gibt es einen Vers, der besagt: »Die Falschheit muss verschwinden, und die Wahrheit wird siegen.« Wenn ein Mann – Fazlullah – alles zerstören kann, wieso sollte ein Mädchen dann nicht alles verändern können? Ich betete jeden Abend zu Gott, auf dass er mir Kraft gebe.
Die Medien im Swat-Tal standen unter Druck. Sie sollten die Taliban so positiv wie möglich darstellen. Manche Journalisten nannten den Sprecher der Taliban, Muslim Khan, gar einen
dada
der Schulen, was ein Ehrentitel ist. In Wirklichkeit aber zerstörte er die Schulen. Andere aber beklagten, was im Swat geschah, und sie boten uns eine mediale Plattform, wo wir äußern konnten, was die furchtsameren unter den Journalisten nicht zu sagen wagten.
Da wir selbst kein Auto besaßen, nahmen wir meist eine Fahrrad-Rikscha, oder einer unserer Freunde fuhr uns zum Interview. Eines Tages nahm mein Vater mich nach Peshawar mit, wo wir in einer Talkshow des urdusprachigen BBC -Senders auftraten. Die Talkshow moderierte ein bekannter Kolumnist, Wasatullah Khan. Wir traten dort mit Faza Maula auf, einem weiteren Freund meines Vaters, und seiner Tochter. Zwei Väter, zwei Töchter. Für die Taliban sollte Muslim Khan sprechen, der jedoch nur übers Telefon zu hören sein würde. Ich hatte Angst, aber ich wusste, dass es wichtig war, dort zu reden, weil viele Leute in ganz Pakistan zuschauen würden. »Wie können die Taliban es wagen, mir mein Grundrecht auf Bildung zu verweigern?« Meine Frage war an Muslim Khan gerichtet. Keine Antwort. Was kein Wunder war, denn sein Interview war vorher aufgenommen worden. Wie sollte eine Bandaufnahme auch live auf Fragen antworten können?
Danach gratulierten mir viele Menschen. Mein Vater lachte und meinte, ich sollte in die Politik gehen. »Du hast schon als Kind wie eine echte Politikerin geredet«, neckte er mich. Ich konnte dazu nichts sagen, da ich mir meine Interviews hinterher nie noch einmal anhörte. Mir war klar, dass diese nur winzige Schritte vorwärts waren. Damals konnte ich noch nicht wissen, dass daraus eine so große und kraftvolle Bewegung werden würde. Ich fühlte mich ganz einfach von Mal zu Mal stärker, je mehr Interviews ich gab.
Doch unsere Worte waren wie die Eukalyptusblüten, die der Wind wegbläst. Die Verwüstung der Schulen ging weiter. In der Nacht vom 7 . Oktober 2008 vernahmen wir in der Ferne mehrere Explosionen. Am nächsten Morgen hörten wir, dass maskierte Kämpfer die Sangota Convent School für Mädchen und das Excelsior College für Jungen gestürmt und mit selbstgebastelten Sprengfallen in die Luft gejagt hatten. Glücklicherweise hatten Lehrer Drohungen erhalten und die Schulen schon vorher evakuiert. Dabei waren dies bekannte Schulen, vor allem die Sangota, die 1965 , noch zu Lebzeiten des letzten
Wali
, gegründet worden war. Sie war für ihr hohes Niveau berühmt. Beide Schulen waren groß – das Excelsior College hatte mehr als 2000 Schüler, die Mädchenschule gut 1000 Schülerinnen. Mein Vater fuhr dorthin. Die Gebäude waren dem Erdboden gleichgemacht worden. Zwischen Trümmern und verbrannten Büchern stellte er sich den Fernsehjournalisten. Er war am Boden zerstört, als er nach Hause zurückkam. »Alles nur noch Schutt«, sagte er.
Doch
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