Ich folge deinem Schatten
Morgenmantel kuschelte. Nach einer Weile konnte er sich nicht mehr richtig an ihr Gesicht erinnern, aber er wusste immer noch, wie es sich anfühlte, wenn sie ihn umarmte. Dann weinte er. Nach einer Weile hörte dieser Traum auf. Dann kaufte Glory einmal Seife, und er wusch sich vor dem Zubettgehen die Hände, und der Traum kam zurück, weil seine Hände mit der Seife genauso rochen wie seine Mommy. Er erinnerte sich wieder an ihren Namen und an das Gefühl, sich mit ihr in den Mantel zu kuscheln. Am nächsten Morgen nahm er die Seife mit in sein Zimmer und legte sie unter sein Kopfkissen. Als Glory ihn fragte, warum er das getan habe, erzählte er ihr die Wahrheit, und sie sagte, das sei okay.
Einmal versteckte er sich zum Spaß vor Glory, aber das machte er jetzt nicht mehr. Glory rannte die Treppe rauf und runter und rief seinen Namen. Sie war wirklich wütend, als sie schließlich hinter der Couch nachsah und ihn entdeckte. Sie drohte ihm mit der geballten Faust und sagte ihm, er solle das nie, nie wieder tun. Sie war so wütend, dass er richtig Angst bekam.
Andere Menschen sah er nur, wenn sie im Auto saßen, und das war immer nur bei Nacht. Sie blieben nie lange in einem Haus, und wo immer sie wohnten, gab es keine anderen Häuser in der Nähe. Manchmal nahm Glory ihn mit nach draußen, spielte mit ihm hinter dem Haus und machte ein Foto von ihm. Aber dann zogen sie weiter in ein anderes Haus, wo Glory ihm wieder ein neues Versteck einrichtete.
Manchmal wachte er auf, wenn Glory ihn nachts in sein Zimmer eingeschlossen hatte, und hörte sie mit jemandem reden. Er fragte sich, wer das sein mochte. Aber die andere Stimme hörte er nie. Er wusste, es konnte nicht Mommy sein. Denn wäre sie im Haus, würde sie bestimmt zu ihm nach oben kommen. Wenn er wusste, dass noch jemand im Haus war, nahm er die Seife in die Hand und tat so, als wäre es Mommy.
Diesmal ging die Schranktür gleich wieder auf. Glory lachte. »Der Hausbesitzer hat einen Angestellten von der Alarmanlagenfirma geschickt, der soll sich darum kümmern, dass sie auch funktioniert. Ist das nicht komisch, Matty?«
7
Nachdem Josh ihr von der Belastung ihrer Kreditkarte durch die Fluggesellschaft erzählt hatte, schlug er vor, auch ihre anderen Karten durchzugehen.
Das exklusive Kaufhaus Bergdorf Goodman hatte ihr kostspielige Kleidung in Rechnung gestellt, Sachen in ihrer Größe, von denen sie aber nicht das Geringste wusste.
»Und das ausgerechnet heute«, murmelte Josh und machte sich eine Notiz, das Kaufhaus um die Stornierung der Abbuchung zu bitten. Dann fügte er hinzu: »Zan, du kommst bei dem Treffen wirklich allein zurecht? Vielleicht sollte ich mitkommen?«
Zan beruhigte ihn, und pünktlich um elf stand sie vor dem Büro von Kevin Wilson, dem Architekten des faszinierenden neuen Wolkenkratzers am Hudson River. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Das Büro befand sich in einem provisorisch eingerichteten Raum im Erdgeschoss des neuen Gebäudes, der Raum, von dem aus der Architekt bequem den Fortschritt der Bauarbeiten überwachen konnte.
Wilson brütete mit dem Rücken zu ihr über Plänen, die auf einem Tisch hinter seinem Schreibtisch ausgebreitet lagen. Bartley Longes Entwürfe?, fragte sich Zan. Sie wusste, dass er vor ihr seinen Termin gehabt hatte. Sie klopfte an. Ohne sich umzudrehen, forderte Wilson sie auf hereinzukommen.
Bevor sie seinen Schreibtisch erreichte, drehte er sich auf seinem Stuhl herum, erhob sich und schob die Brille auf die Stirn. Er war jünger, als Zan erwartet hatte, noch kaum Mitte dreißig. Er war groß, schlaksig und glich eher einem Basketballspieler als einem preisgekrönten Architekten. Sein markantes Kinn und die durchdringend blauen Augen waren die hervorstechendsten Merkmale in seinem schroffen, nicht unattraktiven Gesicht.
Er reichte ihr die Hand. »Alexandra Moreland, schön, Sie zu sehen, und nochmals vielen Dank, dass Sie sich bereiterklärt haben, Entwürfe für unsere Musterwohnungen vorzulegen.«
Zan versuchte zu lächeln, als sie ihm die Hand schüttelte. In den nunmehr fast zwei Jahren seit Matthews Verschwinden war es ihr meistens gelungen, sich bei solchen geschäftlichen Besprechungen von ihren Gefühlen abzuschotten und nicht an Matthew zu denken. Heute aber, an Matthews Geburtstag und nach der schockierenden Erkenntnis, dass jemand Fremdes Rechnungen zulasten ihrer Kreditkarte und ihres Kontos anhäufte, spürte sie, wie die so sorgfältig um sie herum errichtete Mauer zunehmend
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