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Ich folge deinem Schatten

Ich folge deinem Schatten

Titel: Ich folge deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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bröckelte.
    Ihre Hand war eiskalt. Glücklicherweise schien Kevin Wilson es gar nicht zu bemerken, trotzdem brachte sie keinen Ton heraus. Dazu musste sich erst der Kloß im Hals auflösen, wenn sie nicht wollte, dass ihr stumme Tränen über die Wangen liefen. Sie hoffte, Wilson deutete ihr Schweigen als Schüchternheit.
    Genau dies tat er anscheinend. »Wollen wir uns nicht ansehen, was Sie entworfen haben?«, schlug er freundlich vor.
    Zan schluckte, bevor sie mit ruhiger Stimme darauf antworten konnte. »Wenn Sie nichts dagegen haben, gehen wir hinauf in die Wohnungen, dann kann ich Ihnen an Ort und Stelle erklären, warum ich was wie arrangiert habe.«
    »Klar«, sagte er. Mit langen Schritten kam er um den Schreibtisch herum und nahm ihr die schwere Ledermappe ab. Durch den Korridor gingen sie zur zweiten Fahrstuhlreihe. Die Lobby befand sich in der Endphase der Fertigstellung, von der Decke baumelten Kabel, schmale Teppichstreifen lagen auf dem staubigen Boden.
    Wilson war ununterbrochen am Reden. Zan kam es vor, als machte er das nur, damit sie ihre Nervosität ablegte. »Das hier wird eines der energieeffizientesten Gebäude in ganz New York«, sagte er. »Wir haben Solarenergie, sämtliche Fenster sind so groß wie möglich, damit alle Wohnungen immer sonnen- und lichtdurchflutet sind. Ich bin in einem Mietshaus aufgewachsen, in dem mein Zimmer direkt gegenüber der Backsteinmauer des Nachbarhauses lag. Tag und Nacht war es so dunkel, dass ich kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Als ich zehn Jahre alt war, hab ich an meine Tür einen Zettel mit der Aufschrift ›Die Höhle‹ gehängt. Meine Mutter hat mich gezwungen, ihn wieder abzunehmen, bevor mein Vater nach Hause kam. Sie meinte, es würde ihn sonst zu sehr deprimieren, dass wir uns nichts Besseres leisten konnten.«
    Und ich, dachte sich Zan, bin auf der ganzen Welt aufgewachsen. Viele meinen, das wäre wunderbar. Meine Eltern haben das Diplomatenleben geliebt, aber ich … ich wollte etwas Festes, Dauerhaftes. Nachbarn, die auch noch in zwanzig Jahren da wären. Ein Haus, das wirklich uns gehört. Ich wollte nicht aufs Internat, als ich dreizehn war. Ich wollte bei ihnen sein, und manchmal habe ich es ihnen richtig übelgenommen, dass sie ständig unterwegs waren.
    Sie traten in den Fahrstuhl. Wilson drückte auf einen Knopf, und die Tür schloss sich. Zan rang sich mühsam einige Worte ab: »Sie haben wahrscheinlich gehört, dass ich bereits einige Male hier gewesen bin, nachdem Ihre Sekretärin mir Ihr Angebot unterbreitet hat.«
    »Ich habe davon gehört, ja.«
    »Ich wollte die Räume zu unterschiedlichen Tageszeiten sehen, damit ich ein Gespür dafür entwickle, wie es sich für die Bewohner anfühlt, wenn sie nach Hause kommen.«
    Sie fingen mit der kleinsten Wohneinheit an, einem Zwei-Zimmer-Apartment mit Bad und separater Toilette. »Leute, die sich dafür interessieren, fallen meiner Meinung nach in zwei Kategorien«, begann Zan. »Die Wohnungen sind teuer. Wenn also nicht Daddy die Rechnungen begleicht, dürften Sie es kaum mit Kids zu tun haben, die gerade vom College kommen. Mögliche Bewerber sind also junge Berufsanfänger. Und wenn sie nicht sehr verliebt sind, werden sie allein hier einziehen wollen.«
    Wilson lächelte. »Und die andere Kategorie?«
    »Ältere, die nach einer Zweitwohnung Ausschau halten und, obwohl sie es sich vielleicht leisten könnten, kein Gästezimmer wollen, da sie für sich sein möchten.«
    Sie entspannte sich. Hier befand sie sich auf sicherem Terrain. »Das habe ich mir dazu überlegt.« Die Küche wurde durch eine lange Theke vom Essbereich getrennt. »Was dagegen, wenn ich meine Skizzen und Muster einfach hier ausbreite?«, fragte sie und nahm ihm ihre Mappe ab.
    Fast zwei Stunden lang erklärte sie daraufhin Kevin Wilson ihre Entwürfe für die drei unterschiedlichen Musterwohnungen. Als sie in sein Büro zurückgekehrt waren, breitete er ihre Pläne auf dem Tisch hinter seinem Schreibtisch aus und sagte: »Sie haben da eine Menge Arbeit hineingesteckt, Zan.«
    Nachdem er sie gleich zu Beginn als Alexandra angesprochen hatte, hatte sie erwidert: »Machen wir es nicht unnötig kompliziert. Alle nennen mich Zan, das kommt daher, weil mir, als ich mit dem Reden angefangen habe, Alexandra nur schwer über die Lippen kommen wollte.«
    »Ich will den Auftrag«, antwortete sie jetzt. »Ich bin von den Entwürfen, die ich Ihnen gezeigt habe, ehrlich überzeugt, sie waren die Zeit und die Mühe wert, die ich

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