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Roemisches Roulette

Roemisches Roulette

Titel: Roemisches Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Caldwell
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1. KAPITEL
    H eute verstehe ich, dass Unschuld relativ ist. Ich weiß noch, wie erschöpft ich mich gefühlt habe, am Abend vor meiner Abfahrt nach Rom. Damals habe ich gedacht, durch all das, was wir durchgemacht hatten, wäre ich viel zu schnell gealtert und hätte an Glanz verloren. Ich wünschte nur, ich hätte schon zu diesem Zeitpunkt begriffen, dass der Verlust von Arglosigkeit weite Kreise zieht.
    “Warum willst du denn jetzt mit Kit nach Italien fahren?”
    Nick beobachtete vom Bett aus, wie ich im Bad mein allabendliches Pflegeprogramm abspulte: Reinigungsmilch, Gesichtswasser, Feuchtigkeitscreme, Augenpflege. Warum ich diesen ganzen Mist benutzte, war mir selbst schleierhaft.
    “Ich muss ein Verkaufsgespräch mit diesem Architekturbüro führen, und du kannst ja wegen deiner Arbeit nicht mitkommen”, antwortete ich. Ich beugte mich zum Spiegel vor und massierte rings um mein linkes Auge die Creme ein.
    “Du hast Kit doch seit Jahren kaum gesehen”, warf Nick ein.
    “Man muss einen Menschen nicht ständig sehen, um mit ihm befreundet zu sein.”
    Bei unserer Hochzeit vor vier Jahren war Kit eine meiner Brautjungfern gewesen. Kurz danach hatte es sie nach Kalifornien verschlagen, wo sie sich als Schauspielerin versuchen wollte. Wir telefonierten nicht jede Woche, noch nicht einmal jeden Monat. Und dennoch hatten wir nie das enge Band durchschnitten, das beste Freundinnen verbindet. Nach einigen Jahren in Los Angeles, in denen Kit gnadenlos ihren Dispokredit überzogen hatte und von einem erfolglosen Vorsprechen zum nächsten gezogen war, lebte sie wieder in Chicago, und ich freute mich mehr denn je, sie in meiner Nähe zu haben. Mit fünfunddreißig Jahren waren die meisten meiner Freundinnen bereits Mütter – eine Rolle, die auch ich eigentlich angestrebt hatte – und zu beschäftigt, um lange Abende in Weinstuben verbringen oder für einen Kurzurlaub nach Rom fliegen zu können.
    “Wieso regst du dich überhaupt so auf?”, fragte ich Nick.
    “Ich rege mich nicht auf, Rachel. Ich wundere mich nur.”
    Doch mein werter Gatte Dr. Nick Blakely regte sich eindeutig auf. Das erkannte ich an der Art, wie er sich durch das kurze lockige Haar fuhr und dann die Stelle zwischen seinen Augenbrauen massierte. Außerdem gab er sich verdächtig entspannt: Nach einem langen Tag in der Praxis hatte er die Krawatte gelockert und saß nun, eine Hand nach hinten auf die elfenbeinfarbene Bettwäsche gestützt, auf unserem Bett. Doch trotz aller Lässigkeit wirkte seine Haltung irgendwie steif.
    “Du musst in Italien gut auf dich aufpassen”, fuhr er fort. “Vor allem wegen der Kerle.”
    “Ach, tatsächlich?”, erwiderte ich und ließ den höhnischen Klang meiner Worte im Zimmer nachhallen.
    Wie merkwürdig, dass nach all den Therapiestunden, nach all den Tränen und der mühsamen Puzzlearbeit am Mosaik unserer angeschlagenen Ehe ausgerechnet Nick es war, der sich um
mich
sorgte. Als witterte
er
jetzt seine Chance.
    “Nick, ich kenne Rom. Ich habe schließlich mal in Italien gelebt.”
    “Aber da warst du zwölf und deine Familie war bei dir. Außerdem war es nur für ein halbes Jahr. Und seitdem bist du immer nur mit mir verreist. Jetzt fährst du mit Kit alleine. Ich meine, ich finde es gut, dass jemand bei dir ist, aber du musst trotzdem vorsichtig sein”, bekräftigte er. “Dort gibt es einen Haufen Typen, die mit Vorliebe Amerikanerinnen nachstellen.”
    “Ich bin sicher, ich komme mit den Eingeborenen zurecht.”
    Für eine Sekunde genoss ich den betroffenen Ausdruck, der über sein Gesicht huschte. Doch wie immer konnte ich es bereits im nächsten Moment schon nicht mehr ertragen.
    “Nick”, sagte ich, als ich zu ihm hinüberging und mich auf seinen Schoß setzte. “Du brauchst dir um mich keine Sorgen zu machen.”
    Am Samstag setzte Nick Kit und mich am O’Hare-Flughafen ab. Vor der Ankunftshalle drängten sich Autos und Taxen mit offenen Türen und sperrangelweit geöffneten Kofferraumklappen. Die Mailuft war mild. Nur hin und wieder frischte der Wind auf und schickte herumliegende Papierreste auf einen ziellosen Flug gen Himmel.
    “Mein Goldmädchen”, murmelte Nick und nahm mich fest in den Arm.
    Kit hatte einst mit diesem Spitznamen angefangen. Als wir Teenager waren, nannte sie mich immer Goldkind. Hauptsächlich wegen meines Nachnamens, Goldin, aber auch, weil ich das einzige Kind recht wohlhabender Eltern war und dies – einfach ausgedrückt – stets auf angenehme Weise zu spüren

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