Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Rande der französischen Pyrenäen bringt, sind eindeutig Wanderoutfits zu identifizieren.
Ich bin im Gegensatz zu vielen der mich umgebenden Jungpilger allein unterwegs. Zweiergrüppchen sind die Regel. Die haben sich gleich einen zum Reden mitgebracht. Ob das am Ende Fluch oder Segen ist, wissen die meisten der Jungpilger zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Erstmalgibt es bestimmt die Sicherheit, nicht allein zu sein. Oder es nervt schon nach ein paar Stunden fühlbar. Wie ein leichtes Ziehen im Backenzahn, das man verwundert registriert - und dann ignoriert. Und von dem man ahnt, dass ein Schmerz daraus werden könnte.
Aber: Was von allein kommt, geht auch von allein wieder. Oder auch nicht. Oder man spürt die Verantwortung für den Mitreisenden. Hält er mich auf dem Weg auf - oder ich ihn? Was, wenn einer nicht mehr weiter kann auf den staubigen Pfaden, die uns bevorstehen? Haben wir das eigentlich besprochen? Wusste ich nicht schon immer, dass die liebe Kollegin in Wirklichkeit ein schrecklich nörgeliges, hypochondrisches Weichei ist?
Beim Eintritt ins mittelalterliche, von Andenkenläden zugestellte St. Jean komme ich schon auf dem ersten Metern mit zwei Japanern ins Gespräch, die sich bis dato auch nicht kannten. Zumindest mit dem einen. Der andere spricht kein Wort irgendeiner europäischen Sprache. „Das könnte ein beeindruckendes und sehr einsames Abenteuer für Dich werden, mein Freund“, erzähle ich ihm. Er nimmt die für ihn geheimnisvolle Information asiatisch lächelnd auf. Über meine hilflos und mehr zum Scherz hingeworfenen Brocken aus Fernsehjapanisch lacht er sich dagegen scheckig - der TV-Serie Shogun aus den 80ern sei Dank. Seinen Namen kann ich dem etwa 60-jährigen Asiaten aber nicht verständlich entlocken.Wie er sich nun in den kommenden Wochen durch Nordspanien schlagen will, bleibt erstmal sein Geheimnis. Die Herausforderung, zu Fuß mit Gepäck unterwegs zu sein, reichte ihm womöglich nicht. Der schmächtige Kerl muss ein echter Kämpfer sein - oder total bekloppt.
Das Forschen nach den Gründen, warum Menschen aus aller Welt nach Nordspanien reisen, sollte in den kommenden sechs Wochen mein Lieblingsthema werden. Als Journalist stelle ich gern Fragen. Aber ohne gemeinsame Sprachfragmente bleiben mir die Gründe dieses japanischen Caminohelden doch in den Details verschlossen. Der zweite Japaner heißt Hayato. Wir werden am nächsten Tag ein paar Kilometer zusammen bergan stapfen.
Beim Anstehen vor dem Pilgerbüro in der Fußgängerzone bleibt Zeit für Blicke auf die Mitstreiter, die die ganze Gasse füllen. Hier gibt es den Startstempel in den Pilgerpass, in dem man als Fußgänger aus Leidenschaft in den nächsten Wochen seine tägliche Kilometerleistung Ort für Ort dokumentiert. Die weiteren Stempel gibt es unterwegs überall: In Herbergen und Hostals, Tante-Emma-Läden und Frühstücksbars und natürlich in Kirchen und Kappellen. Wer brav seinen Pilgerausweis damit füllt, sammelt nicht nur Erinnerungen sondern auch Beweise. In Santiago schließlich erhält man damit das Anrecht auf die beurkundete Bestätigung, ein erfolgreicher Pilgerzu sein. Und man bekommt - zumindest als gläubiger Katholik - all seine Sünden erlassen. Ist das etwa der Grund, warum hier um mich herum in fünf verschiedenen Sprachen parliert wird? Alles international handverlesene Sünder, die sich zielgerichtet ihren Ablass erwandern wollen? Man kann sich seine Mitpilger nicht aussuchen. Und warum bin ich selbst hier? Eine Frage, für deren Beantwortung mir im günstigsten Fall viele Wochen Zeit bleiben. Wenn ich nicht vorher aufgeben muss.
Gute Gründe, nicht mit acht Kilo auf dem Buckel, einem schreiend orangefarbenen Wanderhemd und einer ausgeblichenen Wanderhose in den Pyrenäen anzustehen gibt es genug, fällt mir jetzt in der enervierend langsam vorankommenden Warteschlange plötzlich ein. Warum sitze ich jetzt nicht zuhause auf dem Sofa oder bastele am frisch erworbenen Fachwerkhäuschen rum? Das dürfen jetzt wochenlang meine Frau und meine Tochter alleine tun und sie werden sich wahrscheinlich bedanken. Ich bin jetzt Mitte 40, die berufliche Karriere stockt, um es mal freundlich zu formulieren. Also endlich die Gelegenheit für Midlifecrisis, Burnout und spirituelle Verirrungen. Ok, ein Cabrio habe ich schon - wenn auch keinen Porsche. Aber eine besondere Herausforderung meistern, ein für mich mittelgroßes Abenteuer bestehen - warum nicht? Wie fit bin ich zureinen 800 Kilometer langen
Weitere Kostenlose Bücher