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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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einhergeht. Der Test fiel negativ aus; er entwickelte sich prächtig, langsam, eigenwillig, sicher nicht mainstreamig, aber immer in Richtung auf die Welt. Unter anderem deshalb war ich mir sicher, dass Simon das auch tun würde. Ich hatte eben solche Kinder, das war kein Anlass, sich von anderen verrückt machen zu lassen.
    Der zweite Grund war, wie gesagt, dass auch ich in dieser Krabbelgruppe fremdelte. Es war und blieb eine Notgemeinschaft. Dass ich bald darauf mit der einzigen Frau, die mir wirklich sympathisch war und eine Freundin wurde, eine ganz andere Gruppe aufmachte, nämlich einen Lesekreis für Erwachsene, ist wohl typisch für mich. Irgendwie, dachte ich, spürte Simon meine eigene innere Distanz, meine Unbehaustheit in diesem Rahmen hier. Wie konnte ich von ihm erwarten, dass er sich wohler fühlte als ich mich selbst? Zu Hause jedenfalls war er ausgeglichen. Er spielte als Dreijähriger durchaus mit anderen Kindern, davon gibt es Fotos. Ich sehe noch deutlich vor mir, wie sie auf ihren Bobbycars durch die Straße sausten und auf der Rutsche herumkrabbelten. Simon war fröhlich, mittendrin und aktiv.
    Sicher, Simon fremdelte manchmal stark. Im Sardinienurlaub, als er zwei Jahre alt war, war er der Schwarm aller Italienerinnen, weißblond, goldbraun gebrannt, mit diesen riesigen blauen Augen. Alle wollten ihn auf den Arm nehmen, aber er weinte sofort. Unter bedauernden »Ah, sempre la mama«-Rufen bekam ich ihn schnell wieder zurückgereicht.
    Die Nachbarin, die ihn als Tagesmutter an zwei Vormittagen für je drei Stunden betreuen sollte, eine mütterliche Portugiesin und ausgebildete Krankenschwester, mussten wir ihm ein halbes Jahr lang schmackhaft machen. Anfangs durfte sie nicht einmal den Griff seines Kinderwagens berühren. Wir wählten endlich den kalten Schnitt, gaben ihn einfach ab und gingen dann. Siehe da: Bald hatte er Vertrauen gefasst und fühlte sich wohl bei ihr, lachte und spielte, unternahm Ausflüge mit ihr und ging sie auch zu anderen Zeiten gerne besuchen.
    Also seltsam – oder doch normal? Es gab einfach nichts Eindeutiges, und das, was es gab, überschritt definitiv nicht meine Schwelle zur Beunruhigung.
    Nein, es traf uns aus heiterem Himmel, was da geschah, als Simon später den Kindergarten besuchte. Ich hatte mich gefreut auf diesen Zeitpunkt, auf die wiedergewonnene Freiheit, den ersten Schritt zur Loslösung vom Exil auf den Spielplätzen und in den Mutter-Kind-Welten, die einfach nicht meine waren, sosehr ich meine eigenen Kinder auch liebte. Heute muss ich mir gestehen, dass in dieser Vorfreude auch Sorge war, Unbehagen und eine Ahnung, dass es nicht problemlos werden würde. Habe ich also doch etwas gewusst?
    Nach und nach trafen die Horrormeldungen ein, zunächst nur vermittelt von den Kindergärtnerinnen: Simon liegt nur auf dem Boden; er hört nicht, wenn man ihm etwas sagt; er spricht nicht, er nimmt keinen Blickkontakt auf und verlässt fluchtartig das Zimmer, wenn der Kassettenrecorder angestellt wird. Er meistert keine altersgerechte Aufgabe etc. etc.
    Dann erfasste es auch unser bisher so heiles Heim. Simon, der fleißig ferngesehen hatte, an der Seite seines großen Bruders selbst Filme, die vielleicht nicht ganz altersgerecht waren (er liebte die Szene mit dem fliegenden Auto aus »Harry Potter«), ertrug mit einem Mal weder TV noch CD . Sobald irgendein Gerät angestellt wurde, das Stimmen oder Geräusche produzierte, schrie und weinte er, versuchte hektisch, es abzustellen, rannte hinaus und verlangte, ins Bett gebracht zu werden. Es gab bald keine Möglichkeit mehr, solange er wach war, fernzusehen oder Musik zu hören. Und wach war mein Sohn jeden Abend bis ca. 22 Uhr!
    Dann löste auf einmal auch das Klingeln an der Haustür und sogar der Besuch selbst jahrelang vertrauter Personen Panik bei ihm aus. Den Empfang von Päckchen quittierte ich nur noch mit einem ohrenbetäubend schreienden Kind auf dem Arm. Ebenso die kurze Frage einer Nachbarin auf der Türschwelle, ob ich ihr etwas Milch borgen könnte.
    Simon gab alle außerhäusigen Aktivitäten auf. Er wollte nicht mehr zu seinen Großeltern, obwohl er bis dahin mit größtem Vergnügen in ihr weißes Auto gestiegen war, um mit ihnen wegzufahren. Auch seine in den letzten Jahren liebgewonnene Tagesmutter mochte er nicht mehr besuchen; nicht einmal mehr mit ihr und dem Hund wollte er mitgehen,

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