Ich schenk dir was von Tiffany's
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Kapitel 1
Ethan Greene war sich durchaus im Klaren darüber, wie bedeutungsvoll sein Vorhaben war. Es würde ein großer Augenblick in seinem Leben werden – wie vermutlich im Leben eines jeden Mannes, dachte er.
Aber während er sich in Manhattan durch die Menschenmassen kämpfte, wünschte er, er hätte sich für diesen Schritt einen besseren Zeitpunkt ausgesucht als ausgerechnet den wohl stressigsten Einkaufstag des Jahres.
Heiligabend auf der Fifth Avenue? Er musste verrückt sein!
Ethan atmete tief ein. Die kalte Luft war erfrischend und nicht so feucht, wie er es aus London gewohnt war. Ihm fiel auf, dass New York sich seit seinem letzten Besuch kaum verändert hatte – während in seinem Leben so vieles anders geworden war.
Bei seiner Ankunft vor zwei Tagen war er überrascht gewesen, wie gut er sich noch an die Orientierungspunkte erinnerte und wie mühelos er sich zurechtfand. Das Gedränge in der U-Bahn, der Geruch der abgewetzten Kunstledersitze im Taxi und das ständige Brausen milliardenfacher Geräusche – teils menschlich, teils mechanisch – gaben ihm Auftrieb. Der charakteristische Elan dieser Stadt steckte ihn an und ließ seine Schritte wieder federn, wie schon seit Jahren nicht mehr.
Im Moment allerdings war Ethan in Eile. Ihm war nur allzu bewusst, dass die Minuten verflogen und das Gedränge immer dichter wurde. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
Daisy neben ihm drückte kurz seine Hand, so als spüre sie, was in ihm vorging. Dabei konnte sie unmöglich wissen, was er plante. Er hatte nur gesagt, er müsse noch eine Besorgung machen, bevor sie in ihr warmes Hotel zurückkehrten. Aber Daisy wusste, wie sehr ihm Menschenmengen zuwider waren – ebenso wie Shopping übrigens –, vielleicht wollte sie ihn einfach beruhigen.
Wie würde sie reagieren? Gut, die Idee stand schon eine Weile im Raum, und er hatte in letzter Zeit mehr als einmal davon gesprochen, deshalb sollte es heute eigentlich keine allzu große Überraschung mehr sein. Daisy schien seine Pläne gutzuheißen. Allerdings hatte Ethan jetzt das Gefühl, dass er ausführlicher mit ihr über sein Vorhaben hätte sprechen sollen. Schließlich besprach er auch sonst wichtige Dinge mit ihr – aber er war einfach nervös.
Daisy sah heute besonders hübsch aus, fand er. Wegen der klirrenden Kälte war sie in viele Schichten eingehüllt, ihre blonden Locken ringelten sich unter einer dunklen Wollmütze, und die rote Nase lugte über einem schwarzen, bestickten Schal hervor. Trotz der Kälte gefiel ihr New York sehr gut, ganz so, wie Ethan es vorhergesehen hatte. Es gab ja auch wirklich keine schönere Zeit als Weihnachten, um der Stadt, die niemals schläft, einen Besuch abzustatten. Doch, die Reise war eine gute Idee gewesen. Es würde schon alles klappen.
Endlich erreichten sie im Gewimmel der Menschen, die in letzter Minute ihre Einkäufe erledigten, die Ecke Fifth Avenue und Fifty-Seventh Street. Ethan schaute Daisy an, und sie machte große Augen, als er ihre Hand fester fasste und ihnen den Weg zum Eingang bahnte.
«Hier?», quietschte sie mit einem Blick auf den bekannten Namenszug neben der Tür, die schlichten Buchstaben auf dem polierten Granit, die jetzt zur Weihnachtszeit mit Tannengrün dekoriert waren. «Was wollen wir denn
hier
?»
«Hab ich dir doch gesagt – ich muss noch was besorgen», antwortete Ethan. Er zwinkerte seiner Begleiterin zu, und schon brachte die Drehtür sie in die heiligen Hallen von Tiffany & Co.
Der weitläufige, hohe Verkaufsraum, der ganz ohne stützende Säulen auskam, schlug Daisy sofort in seinen Bann. Voller Staunen betrachtete sie die langen Reihen der Vitrinen, in denen die kostbare Ware so beleuchtet wurde, dass sie verlockend funkelte.
«Oh, wow, ist das alles schön», wisperte sie ehrfürchtig und blieb mitten im Gang stehen. Gleichermaßen bezauberte Kunden und Touristen strömten an ihr vorbei, alle fasziniert von dieser Ausstellung atemberaubender Schmuckstücke. Tiffany’s gehörte zu den wenigen Geschäften in Manhattan, die keine aufwendige Festdekoration einsetzten. Für die glitzernden Kostbarkeiten war der sparsame Weihnachtsschmuck völlig ausreichend, und zusammen mit dem romantischen Zauber des traditionsreichen Ladens rief er diese ganz besondere Weihnachtsstimmung hervor.
«Ja, nicht?», stimmte Ethan ihr zu. Seit sie hier waren, ließ seine Nervosität nach. Er nahm Daisy am Arm und steuerte sie zwischen den vielen Schaukästen hindurch
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