Ich uebe das Sterben
möchte. Ein Langzeit- EKG habe ich bisher noch nie machen müssen, aber da mir meine Ärztin das Prozedere genau erklärt, macht mir die Untersuchung keine Sorgen. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass es der Beginn einer kardiologischen Odyssee ist.
Im Gespräch mit ihr höre ich zum ersten Mal das Wort Extrasystole . Meine Ärztin erklärt mir geduldig, dass dies Extraschläge außerhalb des normalen Herzrhythmus sind. Die Aussage verursacht einen Kloß in meinem Hals, aber Frau Seifert beruhigt mich, indem sie sagt, dass jeder Mensch diese Extrasystolen habe und diese zunächst als ungefährlich einzustufen seien.
Doch an einem Vierundzwanzig-Stunden- EKG führt kein Weg vorbei, und so kehre ich mit dem kleinen schwarzen Kasten und drei Elektroden auf der Brust nach Hause zurück.
Der Anordnung von Frau Seifert, diesen Tag mit dem Langzeit- EKG genauso zu verbringen wie alle anderen Tage, leiste ich Folge. Das Gerät beachte ich also nicht, so gut es geht. Allerdings nerven mich die Elektroden, denn sie verursachen einen Juckreiz, sodass ich das Kästchen nicht komplett ignorieren kann.
Als ich das Gerät am nächsten Abend in der Arztpraxis abliefere, erfahre ich von der Sprechstundenhilfe, dass die Auswertung ungefähr eine Woche dauert, da sie von einem Spezialisten – einem Kardiologen – vorgenommen wird.
Natürlich bin ich gespannt auf das Ergebnis der Auswertung. Doch ich muss mich gedulden. Um mich abzulenken, stürze ich mich in die Arbeit und spule täglich meine Trainingskilometer für den bevorstehenden Marathon herunter. Ich fühle mich in den Tagen nach der Untersuchung wesentlich besser als vorher, weil ich mich in der Sicherheit wiege, dass meine Extrasystolen ungefährlich sind. Immerhin hat jeder Mensch sie.
Nach fünf Tagen erhalte ich einen Anruf aus der Arztpraxis. Die Auswertung meines Langzeit- EKG s ist da, und ich soll noch am selben Tag vorbeikommen, um die Ergebnisse zu besprechen. Gut gelaunt und bei schönstem Sonnenschein mache ich mich kurze Zeit später auf den Weg.
Eine Stunde später sitze ich stocksteif, wortlos und blass im Sprechzimmer von Frau Seifert. Die kardiologischen Fachbegriffe schwirren wie ein Brummkreisel durch meinen Kopf. Das Einzige, was hängenbleibt, ist das Wort Herzschrittmacher. Das verstehe ich. Zumindest in Ansätzen. Ein Herzschrittmacher ist ein kleiner Apparat, der den Rhythmus des Herzens vorgibt, wenn dieses dazu selbst nicht mehr in der Lage ist.
Wie in Trance verlasse ich die Praxis und renne durch den nahegelegenen Park. Die Tränen laufen, ich kann nicht mehr denken.
Zu Hause angekommen, höre ich meine Lieblings-CD und trinke eine ganze Flasche Weißwein. Mit steigendem Alkoholpegel wird mein Kopf leer wie ein Vakuum, und ich kann mich sogar fast entspannen. Irgendwann, weit nach Mitternacht, schleppe ich mich in mein Bett und schlafe einen tiefen, kurzen und traumlosen Schlaf, bevor mein Wecker mich nur wenig später wieder in die Realität zurückholt.
Noch etwas verkatert, doch mit Blick in das helle Tageslicht versuche ich, meine Gedanken zu sortieren. Allerdings scheint es, dass sich in meinem Kopf immer noch ein Vakuum anstelle eines denkfähigen Organs befindet. Ob das an den Folgen des Genusses des geistvollen Getränks oder einfach an meiner Fähigkeit liegt, Dinge schlichtweg zu ignorieren, weiß ich nicht genau.
In einer Stunde habe ich einen Termin bei dem Kardiologen, der mein EKG ausgewertet hat. Ich bin zuversichtlich, dass der Herzschrittmacher nach dem Gespräch kein Thema mehr für mich sein wird. Die Medizin hat doch heutzutage unendlich viele Möglichkeiten. Außerdem ist so ein Apparat nur etwas für alte, schwache Menschen – nicht für mich, eine junge, sportliche Frau, die gerade dabei ist, Karriere zu machen. Wahrscheinlich bin ich nur übertrainiert und habe zu viel gearbeitet. Stress schlägt schließlich auf das Herz, das habe ich doch schon oft gehört.
Tatsächlich werden meine Gedankengänge im Gespräch mit dem Kardiologen teilweise bestätigt. Er rät mir, zunächst allgemein etwas kürzerzutreten. In vier Wochen will der Arzt dann ein weiteres Langzeit- EKG schreiben. Außerdem erklärt er mir, dass ein Herzschrittmacher nicht nur etwas für alte, unaktive Menschen ist, sondern dass es selbst Kinder und Sportler gibt, die mit einem solchen Ding leben. Außerdem, so teilt er mir mit, sei der Einsatz dieses Geräts keine große Operation. Die Angst vor dem Herzschrittmacher ist mir damit fast
Weitere Kostenlose Bücher