Ich uebe das Sterben
Komik. Wenn man sich allerdings die Ernsthaftigkeit dieser Erkrankung, bei der man langsam sein komplettes Gedächtnis verliert, bewusst macht, ist es nicht mal mehr im Ansatz komisch.
Während dieses Krankenhausaufenthalts erlebe ich hautnah eine Reanimation, eine Wiederbelebung. Leider verläuft sie erfolglos, und ich sehe zum ersten Mal in meinem Leben einen Menschen sterben. Mit allem, was dazugehört: Blut, Geschrei, Spritzen, Panik, Resignation, Tränen, Wut, Frustration, einem mit einem Laken abgedeckten, leblosen Körper, einer nie gekannten, plötzlichen Stille – und einem Defibrillator.
Bei meinen Untersuchungen geben sich die Ärzte jede erdenkliche Mühe und testen diverse Antiarrhythmika – Medikamente zur Regulierung des Herzschlages – an mir. Und zum ersten Mal wird eine Elektrophysiologische Untersuchung per Herzkatheter bei mir durchgeführt.
Diese Untersuchung finde ich besonders interessant. Ein Katheter wird über ein Gefäß in der betäubten Leiste bis ins Herz vorgeschoben. Während der ganzen Prozedur liege ich unter einem Röntgengerät, sodass ich alles genauestens mitverfolgen kann. Das Ergebnis jedoch ist für alle Beteiligten vernichtend: Die Ärzte finden ungefähr dreißig zusätzliche Erregungsherde in den Vorhöfen meines Herzens.
Normalerweise wird das Herz im Sinusknoten erregt. Dieser leitet den dabei entstandenen Strom weiter in die Herzkammern und sorgt für deren Kontraktion. Dies sorgt dann für einen regelmäßigen Herzschlag. Im Gegensatz dazu ist mein Herzschlag sehr unrhythmisch, weil das Herz sich sozusagen wild im Kreis erregt.
Die vorläufige Diagnose sind multiple Herzrhythmusstörungen, die von den Ärzten jedoch alle zunächst als ungefährlich eingeschätzt werden, da sie aus den Vorhöfen kommen. Das bedeutet, der Blutfluss durch meinen Körper ist abgesichert. Es handelt sich lediglich um persönlich als unangenehm empfundene Unregelmäßigkeiten des Herzschlages.
Der Chef des Klinikums Darmstadt ist selbst auch Ausdauersportler und Triathlet, versteht daher meine Sorge, zukünftig keinen Sport mehr machen zu können, und nimmt ganz besonders Anteil an meiner Geschichte.
Er überlegt, ob mir vielleicht mithilfe des Ablationsverfahrens geholfen werden könne. Bei diesem Verfahren werden zusätzliche Erregungsbahnen in den Vorhöfen per Hochfrequenzstrom verödet. Dieses Verfahren ist weitestgehend schmerzfrei, in sehr vielen Fällen erfolgreich und wird auch über einen Katheter durch die Leiste durchgeführt.
Der Arzt kontaktiert weitere Spezialisten in Sachen Elektrophysiologie in der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Gemeinsam fassen sie den Entschluss, dass diese Methode für mich nicht infrage kommt, weil sie für eine große Anzahl zusätzlicher Erregungsherde – so wie es bei mir der Fall ist – nicht geeignet ist. Ein Stück Hoffnung schwindet.
Auch die Medikamente, die mir während meines Klinikaufenthaltes verabreicht werden, zeigen entweder nicht den gewünschten Effekt oder beeinträchtigen mich durch ihre Nebenwirkungen.
Zwei Wochen später werde ich aus der Klinik entlassen – ohne Therapie. Es ist Mitte November, und ich stürze mich in Weihnachtsvorbereitungen und Jahresabschlüsse. Erleichtert durch die Diagnose aus der Klinik, versuche ich, meinem Herzschlag so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu schenken. Ich schaffe es sogar, die nächtlichen Unregelmäßigkeiten ohne Panik zu überstehen. Ich nehme mein Ausdauertraining wieder auf, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Daher trainiere ich nicht nach Plan, sondern nach Lust und Laune.
Zur Weihnachtszeit treffe ich einen Bekannten von mir. Er studiert in München Medizin und ist aus diesem Grund natürlich an meinen Herzrhythmusstörungen interessiert. Er macht gerade ein Praktikum in der Kardiologie im Klinikum Großhadern, das zum Deutschen Herzzentrum gehört. Er redet so lange auf mich ein, bis ich seinem Vorschlag nachgebe, dieses Klinikum Ende April aufzusuchen, um eine weitere ärztliche Meinung einzuholen. Schließlich will ich wieder zu dem Punkt zurückkehren, an dem ich jederzeit bedenkenlos meiner sportlichen Leidenschaft nachgehen kann. Und es gibt auch nach den bisherigen Untersuchungen noch viele Momente, in denen ich doch verunsichert bin. Immerhin geht es um mein Herz, den Motor meines und eines jeden menschlichen Körpers. Da kann es nicht schaden, wirklich auf Nummer sicher zu gehen.
Während es mir in den kommenden Wochen gesundheitlich einigermaßen
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