Ich uebe das Sterben
stillstehen. Dem Tod davonlaufen, darin habe ich ja schon Übung.
Die ersten zehn Kilometer laufen wir auf einer Forststraße. Harald und ich sind richtig gut unterwegs, kommen in einen angenehmen Laufrhythmus. Wir reden kein Wort. Ich gebe nur Zeichen: Daumen hoch, Daumen waagrecht oder Daumen runter. Je länger wir unterwegs sind, desto besser geht es mir.
Die Jamtalhütte nach rund zehn Kilometern beherbergt die erste Verpflegungsstelle. Wir sind neunzig Minuten unterwegs und liegen eine halbe Stunde vor dem Zeitlimit. Schnell stopfen wir uns mit Bananen und Riegeln voll, schütten Iso nach und machen uns an den Aufstieg zum Futschölpass auf 2768 Meter.
Der Aufstieg gestaltet sich technisch nicht ganz so anspruchsvoll wie diejenigen auf den letzten Etappen. Es gibt keine seilversicherte Passage, dafür aber eine steile Steigung über Geröll. Erst wenn man oben steht, kann man nachvollziehen, wofür man sich quält. Das Panorama ist einfach fantastisch. Nur Berge, keine Zivilisation, lediglich ein paar verrückte Läufer, die mit Rucksäcken bewaffnet den Gipfel stürmen.
Vom Futschölpass aus stürzen wir uns wieder in die Tiefe, hinab bis auf 1900 Meter. Wir kommen zügig vorwärts, fallen immer wieder in einen angenehmen Laufschritt. Heute habe ich nur so viel Eile, wie unbedingt nötig ist. Ich will diese Etappe ganz bewusst erleben, nachdem ich dafür doch extra überlebt habe.
Die nächste Verpflegungsstelle befindet sich auf 2200 Metern. Es geht also wieder bergauf. Der Weg schlängelt sich dahin, die Sonne brennt vom Himmel, und die Verpflegungsstelle will einfach nicht in Sicht kommen.
Nach vier Stunden und dreißig Minuten erreichen wir den Kontrollpunkt in Alp Laret und werden dort von Carsten mit den Worten: »Willkommen in der Schweiz!«, begrüßt. Mit einem Polster von dreißig Minuten haben wir kurz Zeit, mit Carsten zu quatschen und uns zu stärken, bevor es weitergeht.
Hinauf zum zweiten Gipfel des Tages. Harald und ich sind beide schon ziemlich am Ende, gehen langsam bergauf. Obwohl wir schleichen wie die Schnecken, überholen wir sogar noch andere Teams. Auf dem Gipfelgrat angekommen, liegt noch eine kleine Klettertour auf den Gipfel vor uns. Mal wieder sind wir auf allen vieren unterwegs, denn anders würden wir hier nicht mehr hochkommen. Und dann haben wir ihn bezwungen, den Piz Clünas, der gewaltige 2793 Meter hoch ist. Zum Verweilen ist jedoch keine Zeit, aber ich fühle mich trotzdem gut. Ich bin stark, stärker als der Mann in Schwarz.
Steil geht es nun bergab. Wir trauen uns kaum, hinunter ins Tal zu sehen. Jetzt heißt es: Bloß nicht ausrutschen, keine Verletzung riskieren. Mein Arm ist schon blaugrün und dick, die Hände haben viele Schürfwunden und blaue Flecken, und die Knie sind geschwollen. Das reicht.
Nach knapp über sieben Stunden erreichen wir die letzte Verpflegungsstation.
Jetzt geht es nur noch rund sechs Kilometer über eine Skiabfahrt hinunter. Was sich so leicht anhört, wird zur Tortur. Meine Knie sacken weg, denn ich habe einfach keine Kraft mehr, und der Hang ist wirklich steil. Harald setzt sich einfach auf den Hosenboden, rutscht einen kleinen Grasabhang hinunter und erntet damit Beifall von zwei Läuferinnen.
Dann sind wir endlich in Scuol. Hand in Hand überqueren wir die Ziellinie nach acht Stunden und zwei Minuten, fast vierzig Kilometern und 2339 Höhenmetern.
Heute fließen bei mir ein paar Tränchen, denn die Anspannung war sehr groß. Es sind Glückstränen, aus Dankbarkeit, dass ich es mal wieder geschafft habe, über meinen Schatten zu springen und ihn hinter mir zu lassen, um im Sonnenschein zu stehen.
Im Hotel falle ich nach der Dusche einfach nur auf mein Bett und mache mich einmal mehr über Kohlehydrate in Form von Kartoffeln im Glas her. Ein Gourmet bin ich während dieses Laufes wahrlich nicht. Tina bessert die Qualität des Essens auf, denn sie hat wieder Kuchen besorgt.
Während Tina und Harald im Hotel zu Abend essen, mache ich es mir vor der Glotze gemütlich.
Mein Körper ist geschunden, überall habe ich Schrammen und blaue Flecken, und die Lippen sind so dick angeschwollen, dass ich den Mund gar nicht schließen kann. Die Knie sind dick und heiß. Außerdem habe ich mir trotz Sunblocker einen Sonnenbrand eingehandelt. Eine Schönheitskur für den Körper ist der Transalpine-Run nicht. Aber er ist gut für die Seele.
Als die Sonnenstrahlen am nächsten Morgen in unser Zimmer blinzeln, bin ich total gut drauf. Och hat die
Weitere Kostenlose Bücher