Ich will doch nur küssen
Kapitel 1
Als Ethan Barron die Hauptstraße seiner Heimatstadt Serendipity entlangraste, hatte er nur einen Gedanken: Man kann vor der Vergangenheit nicht davonlaufen . Gerade er musste das wissen, schließlich hatte er es lange genug versucht.
Eigentlich machte er es immer noch, wenn man die Tatsache, dass er das alte Harrington-Anwesen unter einem Firmennamen gekauft hatte, dazuzählte. Aber dafür hatte er seine Gründe. Seine Brüder wollte er nur zu gerne wissen lassen, dass er wieder da war, aber die übrigen Bewohner von Serendipity sollten ruhig ein wenig rätseln, wer denn nun das Wahrzeichen der Stadt von der Börsenaufsichtsbehörde ersteigert hatte. Ethan hoffte, dass das Schicksal des Vorbesitzers kein schlechtes Omen für ihn sein würde. Sein neues Leben in der alten Heimatstadt sollte nämlich besser werden als das vorige.
Er war nach zehn Jahren zurückgekommen, um sich der Vergangenheit zu stellen und alles wieder ins Lot zu bringen – soweit das überhaupt möglich war. Bis jetzt hatten seine jüngeren Brüder keinerlei Interesse an einer Versöhnung gezeigt, obwohl er sich sehr darum bemühte. Er konnte es ihnen nicht verdenken – immerhin hatte er mit seiner Rücksichtslosigkeit ihr Leben zerstört. Und danach hatte er alles nur noch schlimmer gemacht, indem er sie einfach der Wohlfahrt überlassen und der Stadt den Rücken gekehrt hatte. Sie waren noch nicht bereit, ihm zu verzeihen.
Verständlicherweise.
Er hatte sich ja selbst noch nicht so richtig verziehen.
Nash und Dare waren inzwischen erwachsen und Ethan hatte so einiges an ihnen gutzumachen. Er würde ihnen beweisen, dass sie von jetzt an auf ihn zählen konnten, und dann würde ihr Groll ihm gegenüber – hoffentlich – allmählich schwinden. Er würde warten, ganz egal wie schwer es ihm fallen mochte und wie lange es dauerte. Der Kauf des auffälligsten Hauses der Stadt war nur der erste Schritt. Es war der Beweis, dass er etwas aus sich gemacht hatte und bereit war, sesshaft zu werden. Er war nicht mehr der egoistische Mistkerl, der mehr Schwierigkeiten verursacht hatte, als ihm heute lieb war.
Als er sich dem Haus näherte, in dem er seit drei Wochen wohnte, bemerkte er eine Frau, die mit dem Rücken zu ihm auf dem Rasen neben der langen Einfahrt stand. Er wendete den Wagen, parkte und stieg aus seinem Jaguar, der ein weiterer Beweis für seinen Erfolg war.
Während er auf die Fremde zuging, ließ er den Blick über ihr schulterlanges blondes Haar und ihre dunkle Denim-Jeans gleiten. Dazu trug sie eine kragenlose, teuer wirkende Jacke – und das bei diesen Temperaturen. Jetzt drehte sie sich zu ihm um. Eine große, schwarze Sonnenbrille verdeckte ihre Augen und die Hälfte ihres Gesichts. Sie kam ihm zwar nicht direkt bekannt vor, doch bei ihrem Anblick durchzuckte ihn ein unbestimmtes Gefühl.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich mache nur einen kleinen Spaziergang.«
Ihre leise Stimme weckte tief in ihm eine Erinnerung, die genauso schnell verschwand, wie sie gekommen war.
»Das hier ist aber ein Privatgrundstück.« Er deutete mit dem Kopf auf die Straße in der Hoffnung, dass sie den Wink verstehen würde.
Ihm war nicht nach Small Talk mit einer Fremden zumute, obwohl er zugeben musste, dass ihre attraktive Erscheinung sein Interesse geweckt hatte. Aber er war wegen seiner Familie hier, und er konnte bei seinen Bemühungen, seine Fehler wiedergutzumachen, keine Ablenkung gebrauchen, selbst wenn sie so sexy und vielversprechend war wie diese hier. Seiner Erfahrung nach waren gerade solche Frauen die gefährlichsten.
Sie hob die Sonnenbrille ein paar Zentimeter an und beäugte ihn mit ihren goldbraunen Augen lange und bedächtig, als könnte sie bis auf den Grund seiner Seele blicken. Als würde sie sich ein Urteil über ihn bilden.
»Mhm, immer noch dasselbe arrogante Aas«, brummte sie, und ihre Stimme klang jetzt nicht mehr sanft, sondern verärgert.
Vertraut .
Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf, straffte die Schultern und schlug den Weg zur Straße ein, wie er es von ihr verlangt hatte.
»Bleiben Sie stehen«, rief er ihr im Befehlston nach.
»Ich bin kein verdammtes Jo-Jo«, blaffte sie ihn über die Schulter hinweg an und ging weiter.
Doch er musste sie aufhalten. »Bleiben Sie stehen, habe ich gesagt.« Mit ein paar raschen Schritten war er bei ihr und packte sie am Arm.
»Was ist denn noch?«, keifte sie und entwand sich ungehalten seinem Griff.
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