Ich will doch nur küssen
Er legte den Kopf schief und fragte sich, was nur über ihn gekommen war. »Kennen wir uns?«, fragte er mit einem unguten Gefühl, denn er ahnte bereits, wie die Antwort lauten würde.
»Sag du es mir.« Sie schob sich die Sonnenbrille ins Haar. Nun konnte er ihr Gesicht zum ersten Mal ganz sehen, ihre weiche, cremig weiße Haut mit ein paar Sommersprossen auf der perfekten Nase. In ihrem Halsgrübchen war ihr heftig schlagender Puls zu sehen. Der Anblick rief bei Ethan die Erinnerung an einen schwülen Sommertag wach. Er auf seinem Motorrad, sie in einem Cheerleader-Outfit auf dem Nachhauseweg von der Schule. Auf dem Weg zu dem Haus, das jetzt ihm gehörte.
»Ich glaub, mich tritt ein Pferd«, murmelte er, und weitere Erinnerungen stürmten auf ihn ein.
Er hatte ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren, und zu seiner grenzenlosen Überraschung war sie darauf eingegangen. Statt sie einfach nach Hause zu bringen, war er jedoch mit ihr zu einem verlassenen Gebäude am Stadtrand gefahren, und dort hatte er sie bis zur Besinnungslosigkeit geküsst. Er hatte mehr gewollt, sie hatte ihn abgewiesen.
Wie recht er doch gehabt hatte – man konnte nicht vor der Vergangenheit davonlaufen.
»Du erinnerst dich also doch«, sagte sie in herausforderndem Tonfall.
Er nickte. »Die Prinzessin aus der Villa auf dem Hügel«, murmelte er halblaut.
Sie stemmte eine Hand in die Hüfte. »Und du als neuer Hausherr bist dann was – der Märchenprinz?«
Also hatte es sich bereits herumgesprochen. Vermutlich musste er sich dafür bei seiner Haushälterin Rosalita bedanken, die er zusammen mit dem Haus übernommen hatte. Sie brauchte den Job, konnte ihn aber auf den Tod nicht ausstehen. Sie redete bei der Arbeit ununterbrochen und berichtete ihm haarklein sämtliche Klatsch- und Tratschgeschichten über Serendipity und seine Bewohner, obwohl es ihn nicht die Bohne interessierte. Zweifellos hatte sie der Tochter des ehemaligen Besitzers erzählt, wer ihr damaliges Zuhause gekauft hatte.
»Also?« Die Worte der unerwarteten Besucherin holten ihn unvermittelt in die Gegenwart zurück.
Ethan musste lachen. Ihre Dreistigkeit war geradezu bewundernswert. »Ich wusste gar nicht, dass du so eine Klugscheißerin bist«, sagte er grinsend.
Sie hob eine ihrer fein gezeichneten Augenbrauen. »Das liegt vermutlich daran, dass du so gut wie gar nichts über mich weißt. Du hast mich nie richtig kennengelernt«, konterte sie mit einem hochnäsigen Tonfall, der ihm bekannt vorkam.
»Und wessen Schuld war das?« Er wollte sie aus der Reserve locken, denn der Gedanke an ihre Zurückweisung schmerzte selbst nach all den Jahren noch verblüffend heftig.
Ihr Blick verriet ihm, dass auch sie sich noch sehr genau erinnern konnte. Es überraschte ihn, dass ihre bernsteinfarbenen Augen noch immer tief in ihre Seele blicken ließen. In seiner Jugend hatte es ihn fasziniert, wie rein und unberührt sie gewirkt hatte, verglichen mit den Mädchen, mit denen er sich sonst herumgetrieben hatte: toughe Mädels, die sich jedem bereitwillig hingaben, besonders ihm, der seinem Böse-Buben-Image jederzeit problemlos gerecht wurde.
Sie war anders gewesen. Etwas Besonderes. Noch ein Grund, wieso ihn ihre Zurückweisung so hart getroffen hatte.
Wie es aussieht, ist das ein weiteres Puzzleteil aus meiner Vergangenheit, mit dem ich mich noch einmal gründlich auseinandersetzen sollte , dachte er. Es irritierte ihn, dass ihn das nach wie vor so aus dem Konzept brachte. Allerdings war sie damals erst sechzehn gewesen und ein wohlerzogenes Mädchen obendrein. Sie hätte sich keinem Mann hingegeben, schon gar nicht ihm.
Sie trat in ihren hochhackigen Sandalen von einem Fuß auf den anderen.
Fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut, oder konnte sie es bloß nicht erwarten, endlich von hier wegzukommen? Ethan entschied sich für Ersteres, weil ihm der Gedanke gefiel, dass ihr die Begegnung ebenso naheging wie ihm. Ganz tief unter die Haut, genau wie damals.
Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf. »Okay, jetzt haben wir aber genug in Erinnerungen geschwelgt. Geh du mal schön nach Hause.« Sie deutete auf den Hügel. »Ich werde dasselbe tun.«
»Und wo ist dein Zuhause?« Alles, was er zurzeit über ihre Familie wusste, war, dass ihr Vater im Gefängnis saß und ihre Mutter am anderen Ende der Stadt wohnte, was zweifellos ein ziemlicher Abstieg für eine einst wohlhabende Frau von ihrem gesellschaftlichen Status war.
Ethan hatte keine Ahnung gehabt, dass die
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