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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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PROLOG
     
    Wendover stand fröstelnd in der grauen Morgendämmerung und blickte finster über die Brüstung der Überführung: ein kleiner, hagerer Mann in einem zu dünnen Regenmantel. Seine Finger waren steifgefroren, seine Augen tränten. Eine leichte Brise zauste sein braunes, struppiges Haar. Er war die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und hatte den Autos zugesehen.
    In dem unbestimmten Licht lag etwas Schroffes, Unmenschliches über der Landschaft, als wäre die Straße nicht für Menschen, sondern für etwas Fremdartiges und Unvorstellbares gebaut; etwas mit Gliedern aus Metall und Stahlbeton vielleicht. Fast erwartete er, daß es jeden Moment auftauchen und südwärts eilen würde, während das Land unter seinen Siebenmeilenschritten stöhnte. Aber es kam nicht, und die Straße verlor sich schweigend in der Weite: ein verschlungener Ausblick auf grauen Schotter, über den sich ein feuchter Schimmer zog.
    Sie war zernarbt und geflickt durch oberflächliche Ausbesserungsarbeiten und zerbröckelt, wo der Fahrdamm auf harten Randstreifen traf. An ihren Rändern ragten vereinzelte Quecken auf. Autos brummten auf ihn zu, entfernten sich süd- und nordwärts.
    Sein kalter, unbekümmerter Verstand versah jedes jähe, gedämpfte Brummen mit einer Deklination der Einsamkeit. Die subjektive Zeitspanne zwischen dem Erscheinen der einzelnen Autos zog sich ins Unermeßliche, obwohl sie in den meisten Fällen nicht länger gewesen sein konnte als drei oder vier Minuten. Gelegentlich prasselte eine Meute von Fahrzeugen unter ihm vorüber, die bei voller Geschwindigkeit um die Plätze rangelten. Bei solchen Anlässen zuckte Wendover zusammen und trat einen Schritt vom Geländer zurück. Bis jetzt hatte es noch keinen Unfall gegeben.
    Über ihm und hinter ihm erstreckte sich der Zaun. Gestützt von sich verjüngenden Betonpfeilern, seufzten die Begrenzungen aus Kettengliedern wie ein riesiges Instrument im Wind. Auf beiden Seiten der Straße erhoben sie sich zwölf Meter über die höchste Stelle des Einschnitts, dann schwangen sie sich im Bogen hinüber und trafen 25 oder 30 Meter über der Asphaltdecke in Höhe des Mittelstreifens aufeinander. Es wirkte wie ein riesiger Käfig, der Drahtverhau eines Labyrinths für Versuche mit Ratten.
    Einige Jahre zuvor von der Fairbairn-Koalition gebaut – der ersten Regierung, die mit dem vollen Ausmaß der Katastrophe konfrontiert wurde –, war der Zaun der irregeleitete Versuch gewesen, die Auswirkungen von Unfällen einzudämmen und die besiedelten Abschnitte der Straße vor Schaden zu bewahren. Tatsächlich hatte er lediglich die Auswirkungen von Massenkarambolagen verschärft. Die Regierung Fairbairn war während der Regression der neunziger Jahre unter großem Getöse zusammengebrochen, und keiner seiner Nachfolger hatte es gewagt, die Kosten für die Entfernung der großen Metallbahnen auf sich zu nehmen.
    Das Jahrtausend als ein Rattenkäfig, dachte Wendover verbittert: Und das Wort »Unfall« ist eine Verniedlichung. Die Ratten setzten ihren Lauf fort, wimmerten gebannt von Horizont zu Horizont.
    Wendovers Augen weiteten sich. Er leckte sich die aufgesprungenen Lippen. Ein schwarzgoldener Lewis/Phoenix Sunbird, der mit über neunzig Meilen nordwärts fuhr, berührte den schlecht zu erkennenden Rand des Mittelstreifens. Der Fahrer geriet, als er spürte, wie die äußeren Räder auf Gras und Rollsplitt gerieten, in Panik.
    Wendover wurde ebenfalls von Panik ergriffen. Übersteuert, schlingerte der Sunbird auf den harten Randstreifen zu, der Klang der Turbine fiel rasch ab. Ein zweites Lenkmanöver. Der Wagen folgte eine Meile weit mit 120km/h einer Sinuskurve und traf dann wieder auf den Mittelstreifen. Blut wärmte Wendovers Lippen. Diesmal hob der Wagen ab, vollführte einen langsamen, tödlichen Überschlag.
    Die Türen flogen auf, und eine kleine wirbelnde Puppe wurde hinausgeschleudert. Ein entfernter Schrei, kaum hörbar unter dem Kreischen der durchdrehenden Turbine. Dann schlug das Fahrzeug auf der südwärts führenden Fahrbahn auf, wirbelte einem Sechzigtonner in den Weg. Durchdringendes Reifenquietschen, als der schwere Aufbau einknickte, schlingerte und, seine Ladung verlierend, auf die linke Seite des Einschnittes zuholperte.
    Er raste die Böschung hinauf und wurde gegen den Zaun geschmettert.
    Ein einziger vibrierender Ton dröhnte durch die Morgenluft, als das straff gespannte Kettenglied den gewaltigen Druck auffing, federte und das Fahrzeug auf die

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