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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. John Harrison
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Leitartikel der Times zusammengesunken, der vorsichtig in Erwägung zog, das große Heer der Selbstmordgefährdeten am Erwerb von Fahrerlaubnissen zu hindern. Ihr Körper war unbehaglich gekrümmt, ihre Augen rotgerändert, ihre Knöchel weiß am Rand der Zeitung. Wendover stellte den Kaffee auf die Frisierkommode. Sie beachtete ihn nicht.
    »Es tut mir leid«, sagte er, hundert andere Auseinandersetzungen widerspiegelnd. »Es hat keinen Sinn zu streiten.«
    Da sie keinen Hinweis auf Linderung verspürte, keine Hoffnung auf eine Lösung, ließ sie die Zeitung von den Knien gleiten. Die blauen Augen glitzerten.
    »Jetzt hat es ein Ende«, sagte sie, indem sie mit zusammengezogener Oberlippe ihre scharfen Zähne zeigte. »Wenn du auf diese Weise weitermachst, werde ich dich verlassen. Du bist ein Einfaltspinsel, ein verdammter Tölpel. Du wirst mit dem Leben nicht fertig und suchst nach einer billigen Ausflucht. Du bist ein Einfaltspinsel. Diese ganze Streiterei hat jetzt ein Ende. Mach so weiter, und wir sind fertig miteinander.«
    »Aber …« Das Bewußtsein seiner eigenen Unfähigkeit verschloß ihm den Mund. Er hatte wirklich nichts mit ihr gemein.
    Sie trank den Kaffee hastig, mit einem Ausdruck des Mißfallens. Dann stand sie auf und stieg aus dem Slip, beugte sich vor, um den Verschluß des Büstenhalters zu öffnen. Sie lächelte. Dann legte sie sich auf das Bett und spreizte die Beine.
    »Du solltest mich besser nehmen, Clement. Denn wenn du nicht Schluß machst mit diesen Dummheiten, wird es deine letzte Gelegenheit sein.«
     
    *
     
    Einige Tage später kehrte er von einem abendlichen Krankenbesuch zurück und fand den Bungalow leer und still.
    Er war zu einem Fall von Hautkrebs im frühen Stadium gerufen worden, ein vierjähriges Kind. Die Frauen des Dorfes wußten, daß er nicht helfen konnte, aber sie fuhren fort, ihn um seinen Besuch zu bitten, wenn die Symptome auftraten, offenbarten ein verzweifeltes Vertrauen. Manchmal war es ihm möglich, den begleitenden Anfall leichter Übelkeit zu behandeln; häufiger fand er beide, Kind und Mutter, völlig aufgelöst vor – das Kind, weil es vielleicht die gewaltige Zerstörung seiner Zukunft als Fernsehansagerin oder als Modemannequin spürte – und konnte dann nicht viel mehr ausrichten, als Beruhigungsmittel anzubieten. Bei Erkrankungen Erwachsener war Selbstmord nichts Ungewöhnliches. Er fand es vergleichsweise leichter, einen Totenschein auszustellen, als etwas über bevorstehende Heilung vorzulügen.
    Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, zu diesen Besuchen zu laufen: Es war keine Eile geboten, und seine Erfahrungen auf der Überführung hatten ihn mißtrauisch gegen die Straßen gemacht. Er bummelte in der Dunkelheit heimwärts, blieb stehen, um über die Brücke auf die bewegte Oberfläche des Flusses zu blicken, und sein müdes Hirn war angefüllt mit der Erinnerung an ein Dutzend Häuschen:
    Unter einer Vierzig-Watt-Birne das teigige Gesicht der Mutter, deren Augen von dem Kind zum Hundert-Zentimeter-Bildschirm des Fernsehers flackerten; der Vater in sich gekehrt und beschämt, ihm schäumendes Flaschenbier anbietend. Sie fanden es schwierig, eine Beziehung herzustellen. Sie dämpften die Lautstärke, wenn er eintrat. Farbige, schweigende Bilder verhöhnten das Gefühl des Versagens im Zimmer, wenn er den Kopf über den gezeichneten Zügen des Kindes schüttelte.
    Im Bungalow herrschte Durcheinander. Im Schlafzimmer gähnten geöffnete Schubladen wie ausgekerbte mechanische Münder; ein rosafarbener Slip lag in einer gefrorenen Lache auf dem taubengrauen Teppich; verschütteter Gesichtspuder überzog die Frisierkommode mit Staub. Die einzigen noch verbliebenen Flaschen waren leer, ihre pastellfarbenen Schilder stellten leere Versprechungen zur Schau. Er verharrte einen Augenblick, spielte mit dem Schutthaufen auf der Platte, zeichnete mit dem Zeigefinger ziellos Muster in den verschütteten Puder und analysierte seine Reaktionen.
    Er stellte fest, daß er fast erleichtert war: Es war ohne das Durcheinander, das er erwartet hatte, abgegangen. Er verspürte nicht viel Bedauern. Eine dankbare Würdigung der Ruhe. Eine unbestimmte Unvollkommenheit. Er ging träge in sein Arbeitszimmer und beantwortete drei Angebote für die Praxis – zwei davon von Kollegen, die, getäuscht durch die Berichte der Krebsforschungsteams, eine sorglose Zukunft in dem halbfertigen Überbevölkerungsprojekt sahen, ein Leben voller Geburten, Krankheiten und

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