Idoru-Trilogie - Gibson, W: Idoru-Trilogie - Virtual Light/Idoru/All Tomorrow´s Parties
vornübergebeugt da und sah zu, sein blond gestreiftes Haar mit dem Wet-Look glänzte im Halbdunkel der Bar, und Rydell sah einen unverhüllten Hunger in seinem Gesicht, bei dem ihn ein komisches Gefühl beschlich, als sähe er, wie Creedmore sich hinter der Mauer aus Scheiße, die er um sich herumgezogen hatte, nach etwas sehnte. Dadurch bekam er auf einmal etwas sehr Menschliches, und das machte ihn irgendwie noch unattraktiver.
Shoats holte jetzt geistesabwesend etwas aus seiner Hemdtasche, was wie die Kappe eines altmodischen Lippenstifts aussah, und begann zu spielen, wobei er das goldene Metallröhrchen als Slide benutzte. Die Töne, die er der Gitarre entlockte, trafen Rydell so sicher in die Magengrube wie Creedmore jenen unvorbereiteten Wachmann vorhin: Sie klangen, wie sich Kreide in einem Billardzimmer an den Fingern anfühlt, und erinnerten Rydell an Tricks mit Glasstäben und Katzenfellen. Irgendwo im Innern dieses fetten, verschlungenen, relaxten Sounds bildete sich etwas heraus, was eine grandiose, hässliche Spannung besaß.
In der zu dieser Tageszeit zwar noch nicht vollen, aber auch keineswegs leeren Bar war es von den kratzigen, verschlungenen, ausdrucksvollen Klängen von Shoats’ Gitarre total still geworden, und dann begann Creedmore zu singen, etwas Hohes und Tremulierendes, Klagendes.
Creedmore sang von einem Zug, der einen Bahnhof verließ, und von den zwei Lichtern an seinem Heck: Das blaue Licht war sein Baby.
Und das rote sein Verstand.
25 ANZUG
Nach seinem Verzicht auf Schlaf ist Laney, der weder raucht noch trinkt, dazu übergegangen, sich den Inhalt sehr kleiner brauner Glasfläschchen einzuverleiben, ein spezielles Patentrezept gegen Kater, eine archaische, aber nach wie vor beliebte japanische Medizin aus Alkohol, Koffein, Aspirin und flüssigem Nikotin. Er weiß irgendwie (irgendwie weiß er jetzt alles, was er wissen muss), dass er dieses Mittel in Kombination mit regelmäßigen Dosen eines hypnotischen blauen Hustensirups braucht, um durchhalten zu können.
Mit klopfendem Herzen, die Augen weit geöffnet, um die Datenflut hereinzulassen, die Hände kalt und fern, stürmt er entschlossen weiter.
Er verlässt den Karton nicht mehr, verlässt sich stattdessen auf Yamasaki (der ihm Medizin bringt, die er nicht nehmen will) und einen Nachbarn in der Pappkartonstadt, einen äußerst gepflegten Verrückten, den er für einen Bekannten des alten Mannes hält, des Modellbauers, von dem Laney diesen Raum gemietet oder auf andere Weise bekommen hat.
Laney erinnert sich nicht mehr an die Ankunft dieses Verrückten, der für ihn der »Anzug« ist, aber das gehört nicht zu den Dingen, die er wissen muss.
Der »Anzug« ist offensichtlich ein ehemaliger Salaryman. Der »Anzug« trägt einen Anzug, und zwar immer denselben. Dieser Anzug ist schwarz und war früher einmal ein wirklich sehr guter Anzug, und man erkennt an seinem Zustand, dass der »Anzug«, in welchem Karton er auch
hausen mag, ein Dampfbügeleisen, eine Kleiderrolle sowie zweifellos auch Nähzeug besitzt und damit umgehen kann. Es ist zum Beispiel unvorstellbar, dass die Knöpfe dieses Anzugs nicht ganz fest und absolut symmetrisch angenäht wären oder dass das weiße Hemd des »Anzugs«, das im Halogenlicht im Karton des Meistermodellbauers erstrahlt, nicht perfekt weiß wäre.
Ebenso klar ist jedoch, dass der »Anzug« schon bessere Tage gesehen hat, was sicherlich für jeden Bewohner dieses Ortes gilt. Es ist zum Beispiel augenfällig, dass das Hemd des »Anzugs« weiß ist, weil er es, wie Laney vermutet (obgleich er das nicht zu wissen braucht), täglich mit einem weißen Erzeugnis bemalt, das für die farbliche Auffrischung von Turnschuhen gedacht ist. Sein schweres schwarzes Brillengestell wird von beunruhigend präzisen Ligaturen aus schwarzem Isolierband zusammengehalten, das er mit einem X-Acto-Messer des Alten und einer stählernen Miniatur-Reißschiene zu schmalen Streifen zurechtgeschnitten und dann mit lapidarer Geschicklichkeit appliziert hat.
Der »Anzug« ist so ordentlich und so akkurat, wie es ein Mensch nur sein kann. Aber es ist sehr lange her, Monate, vielleicht Jahre, dass er gebadet hat. Jeder Zentimeter sichtbarer Haut ist natürlich geschrubbt und makellos rein, aber wenn der »Anzug« sich bewegt, sondert er einen ganz unbeschreiblichen Geruch ab, eine Art hohen, dünnen Gestank von Wahnsinn und Verzweiflung. Er trägt stets drei identische, in Plastik eingeschweißte Exemplare eines Buches
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