Ihr schafft mich
Unter den vielen Hundert Millionen Frauen, die sich weltweit zum Islam bekennen, gibt es ganz klar verschiedene Ansichten und Abmachungen, wie man es mit dem Kopftuch halten sollte. Die meisten Iranerinnen halten es anders als die meisten Frauen aus der östlichen Türkei. Viele Frauen aus dem westtürkischen Istanbul halten es wieder anders. Also steht hinter der Sache mit dem Kopftuch schon mal kein eindeutiges Gebot â sondern eine Vereinbarung.
Das Thema »Kopfbedeckung« beschäftigt aber nicht nur den Islam, sondern auch viele andere Religionen. Im Judentum etwa gilt die Vorschrift, dass Männer bei religiösen Zeremonien ihren Kopf bedecken sollen. Bei den christlichen Konfessionen haben die Kirchgänger in der Regel nichts auf dem Kopf. In der katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen tragen allerdings die Priester ebenfalls etwas auf ihrem Kopf, beispielsweise ein Birett , hochrangige Priester tragen eine Mitra .
Aber auch über die Frage, ob christliche Frauen â wie Musliminnen â ihre Haare bedecken sollten, gibt es seit langer Zeit theologische Diskussionen. Denn der Apostel Paulus hat sich in seinem »Korintherbrief« zum Thema »Kopfbedeckung für gläubige Christinnen« geäuÃert. Und was Paulus zu sagen hatte, gilt vielen Christen als wichtige Richtschnur für ihr eigenes Handeln. Einige deuten seine ÃuÃerungen so, dass Christinnen in der Kirche etwas auf ihrem Kopf tragen sollten. Christliche Frauen sollten also eine Kirche nicht ohne Schleier oder Kopftuch betreten, lautet diese Lesart. Andere deuten die Sätze des Apostels genau andersherum: Christliche Frauen sollten nichts auf dem Kopf haben.
Haare, Glaube â und Sex
Die Sache mit den Haaren, den Frauen und dem Glauben ist also vertrackt. Eines kann man allerdings mit groÃer Sicherheit sagen: Es geht bei dem Thema auch ganz wesentlich um eine der Kräfte, die Menschen am stärksten umtreibt. Es geht um Sex. Denn schöne und offen gezeigte Haare einer Frau gelten quer durch alle Kontinente, durch alle Kulturen und durch alle Zeiten als etwas, das Frauen körperlich attraktiv erscheinen lässt. Schöne Haare machen Frauen sexy. Justin Timberlake mag mit seiner Frisur immer mal wieder für den Titel »sexiest man alive« vorgeschlagen worden sein. Eine Kandidatin, die bei Germanyâs Next Top Model oder einer anderen Casting-Show mit Haaren antritt, die so kurz sind wie die von Justin Timberlake, würde ein beträchtliches Wagnis eingehen. Als sich die Sängerin von Frida Gold , Alina Süggeler, eine Glatze scheren lieÃ, waren viele Fans geschockt. Wenn sie sich die Haare wieder lang wachsen lässt, dürfte der Schock weniger groà sein.
Dass Frauen das Signal aussenden »Ich will sexy sein«, war â und ist â aber in vielen Kulturen, in denen Männer das Sagen haben, verpönt. Vor allem verheiratete Frauen sollen nicht über offen gezeigtes Haar auf andere Männer Attraktivität ausstrahlen, so lautet eine uralte Regel. Verheiratete Frauen trugen deshalb in vielen europäischen Ländern lange Zeit ihr Haar unter einer Haube. Das Sprichwort, dass eine Frau »unter die Haube kommt«, wenn sie heiratet, gerät zwar langsam aus der Mode. Doch es zeigt, dass es genau darum ging: Eine Frau, die sich fest an einen Mann bindet, zeigt ihr Haar nicht mehr den anderen Männern. Denn sie hat gefälligst keine sexuellen Signale mehr von sich zu geben.
Kleine Zwischenfrage: Irritiert davon, dass hier plötzlich von Sex die Rede ist?
Na, mal ehrlich: Bis hierher war das Buch vielleicht noch ganz flott und stolperfrei zu lesen, doch jetzt sticht plötzlich dieses Wort ins Auge: Sex . Das mit der Nacktheit weiter oben, das war ja schon ein bisschen eigenartig. Aber jetzt Sex, sexy, sexuell ? Das liest sich anders als Norm, normal, genormt . Lässt einen beim Lesen stolpern. Warum? Aus dem simplen Grund, dass folgende Norm gilt: Reden und Schreiben über das Eine ist auch für moderne Leute im 21. Jahrhundert mit allen möglichen Peinlichkeiten, Verboten und so weiter belegt. Oder nicht? Schon, oder? Was nur ein weiteres Zeichen dafür ist, welche unglaubliche Energie in dem Einen steckt.
Heute ist bei Frauen, die in Europa â oder in letztlich europäisch geprägten Gegenden wie den Staaten Nord- und Südamerikas â leben, eher das Gegenteil üblich: Sie versuchen, körperlich
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