Im Auftrag des Tigers
gleichfalls neuen Anbau standen, an dessen Tür Dan voll Schwung das Schild ›Biologisches Institut – Taong‹ genagelt hatte.
Sie schob die Kassette ins Gerät und drückte ›Play‹. Der Schirm leuchtete auf, und da war er, da war Rick: Das breitflächige Gesicht, die gebuckelte Stirn mit den Falten, die dichten, dunkel-silbernen Haare, die schweren Brauen, die so lebendigen, insistierenden Augen … so nah war alles, daß sie unwillkürlich den Arm hob.
Rick Martin lächelte. Und dann erklang seine Stimme: »… so gesehen, meine Damen und Herren, könnten wir im Fall Tenenga von einer Art Märchen berichten, nämlich vom Sieg der Gerechtigkeit: Der Mörder hat mit dem Leben bezahlt, der Anstifter kam für fünfzehn Jahre ins Gefängnis, sein Reich, die East Coast-Industries, ist zerschlagen, bankrott. Und da es, wie Sie ja alle wissen, keine Märchen ohne Happy-End gibt, wäre noch hinzuzufügen: Tenenga gehört heute, zusammen mit den berühmten indischen Tiger-Parks, zu den bestverwaltetsten Schutzzonen der restlichen Tiger-Populationen dieser Erde. Die Anzahl der Tiger dort nimmt wieder drastisch zu. Vielleicht kann ich den einen oder anderen beobachten, denn ich habe meinen Flug nach Malaysia schon gebucht. Ich werde auch Maya Nandi, die Präsidentin der Tenenga-Stiftung, und meinen Freund, den amerikanischen Biologen Dan Carpenter wiedersehen. Die beiden, und dies ist besonders wichtig, haben im Zusammenwirken mit der einheimischen Waldbevölkerung, deren Männer Dan Carpenter zu hervorragend motivierten Rangers und Game-Wards ausbildete, ein kleines Wunder zustande gebracht. Es ist also zu hoffen, daß der indonesisch-malaiische Tiger überleben kann …«
Die sonore, angenehm schwingende Stimme machte eine Pause. Es wurde eine lange, sehr lange Pause. Rick ruckte an seiner Lesebrille, nahm sie ab und sprach nun vollkommen frei in die Kamera.
»… doch ist es wirklich ein Happy-End? In unserer Welt, in der alles, was zählt, in Geld ausgedrückt wird, also auch in der Welt der chinesischen Pharma-Hehler, der Boom-Profiteure, der Ignoranten, die dem Aberglauben verfallen sind, sie könnten die göttliche Kraft des Tigers auf sich selbst übertragen, in dieser Welt der Armut, die immer neue Wilderer erzeugen wird, in dieser Welt der Groß-Spekulanten, die keinerlei Achtung kennen, am wenigsten die vor dem Heiligtum der Wälder, die Gott in Millionen von Jahren erschaffen hat – ist in dieser Welt noch Platz für Happy-Ends?! Ich fürchte, nein … Und daran werden wohl alle Artenschutz-Abkommen und alle Regierungs-Verträge nichts ändern können.«
Und wieder die beklemmende Pause.
»Es ist unser aller Welt … Ich kenne den Fall eines amerikanischen Millionärs, der erst vor kurzem einen brandneuen Geländewagen für das Fell eines einzigen sibirischen Tigers geboten hat …«
Dan legte Maya die Hand auf den Arm und flüsterte etwas, sie schüttelte nur den Kopf und beugte sich noch weiter vor, als könne ihr ein einziges Wort entgehen. Rick, dachte sie, sag es ihnen! Rick, welches Glück, daß es dich gibt …
»Was wir erleben ist nichts anderes als der kollektive Mord an der Krönung der Schöpfung … Ja, der Tiger ist die Krönung! Nicht umsonst haben die Völker, die noch ihren Lebensinstinkt für die Natur bewahrt haben, den Tiger für göttlich erklärt. Aber auch von uns weiß es jeder, der einmal Gelegenheit hatte, dieses herrliche Tier zu beobachten und seine magische Schönheit zu erfahren … Eine Großkatze, ein Raubtier? Gewiß. Aber auch das edelste und vollkommenste Ergebnis des schöpferischen Spiels der Natur …«
»Richtig. Genau das ist es!« hörte sie Dan neben sich. »Du hast recht, Rick. Und wie recht du hast …«
»Die Schöpfung allerdings hat zwei Wege bestritten«, fuhr Rick Martin fort: »Aus dem Schimpansen schuf sie über ganze Entwicklungsketten von Hominiden den Homo sapiens, den Menschen. Uns! Sie hat ihn mit Bewußtsein und Intelligenz ausgestattet. Intelligenz wiederum – und dies hat die Geschichte der Zivilisationen erwiesen – Intelligenz potenziert die Erb-Aggression ins Ungeheuerliche. Und Ungeheuer sind wir geworden … Ein außerirdischer Beobachter, der das Säugetier Homo sapiens mit anderen Tieren vergleichen würde, käme vermutlich zu dem Schluß, daß es sich bei ihm um einen Irrläufer der Natur handeln müsse. Und ist es nicht auch so? Keine Tierart, die er nicht auslöscht oder bedroht, kein Nachbarstamm der eigenen Art, dem er nicht
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