Ihr wisst ja nicht, was Liebe ist
1. Mister Wollschaf
Dein Name ist Leander.
Pia hat es herausgefunden.
Ich hätte mich nie getraut. Nie.
Pia traut sich.
Sie hat dich bei den Mofaständern abgefangen, als du gerade den Helm aufsetzen wolltest.
âHey, Mister Wollschaf, wie heiÃt ân du in echt?â, hat sie mit ihrer kratzigen Stimme gedröhnt.
Du hast dich umgedreht, den Motorradhelm lässig in der Hand und hast gelacht.
âWollschaf? Wer? Meinst du mich?â
âDie Haare!â
âAch so!â Mit der freien Hand hast du dir die weiÃblonden Locken aus der Stirn gestrichen.
Ich hab es genau gesehen.
Ich war ja nur ein paar Meter weit weg.
Hab so getan, als müsste ich mein Fahrrad aufpumpen.
Aber ich hab natürlich durch meine langen Haare geguckt.
Du siehst supersüà aus.
Braune Arme, trainierte Muskeln und ein Waschbrettbauch unterm engen weiÃen Muskelshirt.
âUnd warum willst du das wissen?â, hast du gefragt.
Du hast gegrinst und dein Freund Ali, der grad dazukam, hat Pia so von oben bis unten angeguckt, wie Jungs eben gucken.
âMeine Freundin will das wissen!â, hat Pia geantwortet.
Peinlich war das, superpeinlich.
âWie heiÃt denn deine Freundin?â
Pia hat den Kopf geschüttelt.
âNee, Junge, erst du!â
âEcht scharf, die Kleine!â, hat Ali gesagt und laut gelacht.
Er hat natürlich Pia gemeint.
Aber du, du hast nur ein bisschen spöttisch gesagt: âOkay. Ich bin der Leander.â
âUnd sie heiÃt Maylin.â
âDie kleine SüÃe dort drüben, ist die das?â
Mehr hab ich nicht gehört.
Ich bin aufs Rad und losgerast.
âWarum bist du abgehauen, Maylin?â
Pia hat mich natürlich angeknatscht, sobald wir allein waren.
âWenn er was von mir will, kann er mich selbst fragen!â
âIch denk, DU willst was von IHM .â
âSchon, aber nicht so, Pia. Trotzdem danke!â
Und ich hab sie lieb gedrückt, damit sie nicht mehr ärgerlich ist.
Sie hat mir ja wirklich was Gutes getan.
Leander.
2. Dattelkern
So hat es angefangen. Ich hab ihn âMister Wollschafâ genannt.
Ich war total verknallt.
Pia hat natürlich gemerkt, dass mit mir was nicht stimmt. Pia kennt mich seit ewig.
In der Pausenhalle hat sie ihre hellgrauen Augen in meine tiefsten inneren Gedankengänge gebohrt und den Kopf geschüttelt.
âWas guckst du denn andauernd zu Ali und seinen Kumpels rüber?â
Sie hat mich in die Rippen gestupst.
âHey, Maylin, komm mal aus den Wolken!â
Und Pia hat sich vor mich gestellt, dass ich ihn und die anderen Jungs nicht mehr sehen konnte.
Ich hab in meinen Pausenapfel gebissen und gekaut. Und ich bin wahrscheinlich genauso rot geworden wie der Apfel. Ich hab nur was von Wollschaf gemurmelt.
âMister Wollschaf? Meinst du den mit den blonden Locken?â
Leander ist für mich wie aus dem Nichts aufgetaucht. Dabei ist er nicht neu an der Schule, nur ein paar Klassen über mir.
Pia sagt, sie hat ihn schon früher bei den Jungs aus Alis Clique gesehen.
âDer hat die Haare ganz kurz gehabt und dunkel gefärbt. Borsten steif mit Gel nach oben.â
Sie lacht spöttisch. Sie zieht ihre eigenen Haare am Oberkopf in die Höhe und lacht noch mehr. âDer sah vielleicht blöd aus!â
Im letzten halben Jahr hat sich auch bei mir ganz viel verändert.
âMeine kleine Maylin verwandelt sich gerade von der schnuckeligen Raupe in einen wunderschönen Schmetterling!â, hat Papa beim Sonntagsfrühstück behauptet.
Aber das will ich gar nicht hören. Auch wenn es vielleicht stimmt. Seit Pia und ich jeden Abend über die Felder joggen, hab ich endlich abgespeckt. Juhu!
Und Mama hat mich so angeguckt und gemeint:
âEs ist eine schöne Zeit, wenn der Dattelkern keimt! Jeder, der fällt hat Flügel ⦠1
Das ist aus einem Gedicht von Ingeborg Bachmann, ich les es mal mit dir zusammen, Marie-Helene.â
Wir heiÃen auch Bachmann. Also derselbe Nachname. Aber natürlich sind wir nicht mit der Dichterin verwandt. Die lebt schon lange nicht mehr, hat Mami gesagt. Seit ich denken kann, hat sie mir Gedichte und Geschichten vorgelesen. Vielleicht denke ich mir darum selber so gern Geschichten aus.
Jetzt sind es welche von Leander und mir.
Lauter âWas-wäre-wennâ-Geschichten:
Was wäre, wenn ich ihn plötzlich ganz allein in den Feldern treffen würde?
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