Im Bann des stolzen Griechen
habe mich ja auch an Sie gewandt. Dank Ihnen werde ich die Kinder niemals anlügen müssen.“ Gabi räusperte sich, bevor sie fortfuhr: „Wenn ich nach Virginia zurückkehre, werde ich einen neuen Telefonanschluss beantragen und Ihnen die Nummer mitteilen. Falls Ihr Bruder sich also je mit mir in Verbindung setzen möchte, können Sie sie ihm zusammen mit meiner Handynummer geben. Ach, und richten Sie ihm bitte aus, dass ich nie mit irgendwelchen Forderungen an ihn herantreten werde.“
Seine Augen schienen noch dunkler zu werden. „Wann fliegen Sie?“, fragte Andreas schroff.
„Übermorgen.“ Um das Unvermeidliche nicht länger hinauszuzögern, streckte sie ihm die Hand entgegen. „Leben Sie wohl, Mr. Simonides.“
Als Gabi am Dienstagabend dabei war, die letzten Babysachen in ihrem großen Koffer zu verstauen, signalisierte ihr Handy den Eingang einer Textnachricht. Ihre Eltern spielten gerade im Kinderzimmer mit den Jungen und würden diese gleich ins Bett bringen.
Nach ihrem Abschied von Andreas am Vortag hatte Gabi sich große Mühe gegeben, das Ganze zu verdrängen und sich ihren Eltern gegenüber nichts anmerken zu lassen. Natürlich war sie traurig, doch das würden die beiden auf ihre bevorstehende Abreise zurückführen.
Zum Glück ahnten sie nicht, dass sie den Vater der Zwillinge kennengelernt hatte. Zu ihrem Kummer unternahm er nichts, um sie zum Bleiben zu bewegen.
Um der Kinder willen tat es ihr unendlich leid.
Sie konnte es kaum ertragen, aber sie musste damit fertig werden, weil sie es mit Andreas so vereinbart hatte.
Seufzend nahm sie das Handy von der Kommode. Ihre Freundin Jasmin wusste, dass sie am nächsten Tag eintreffen würde, und wollte vermutlich ihre Flugnummer und Ankunftszeit wissen. Als sie allerdings sah, von wem die Nachricht stammte, begann ihr Herz wild zu pochen:
Bin gerade in Heraklion eingetroffen. Kommen Sie bitte in den Park, wenn Sie die Zwillinge ins Bett gebracht haben. Wenn es sein muss, warte ich bis morgen, denn wir müssen miteinander reden. A.
Beinah hätte sie vor Freude laut geschrien. Anscheinend hatte Leon es sich anders überlegt und wollte die Kinder doch noch einmal sehen. Und sie würde Andreas wiedersehen. Bei dieser Vorstellung beschleunigte sich ihr Puls noch mehr.
Nachdem sie den Koffer zugeklappt hatte, eilte Gabi in ihr Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Hastig streifte sie T-Shirt und Jeans ab und schlüpfte in das weiße Top und die graue Leinenhose, die sie schon für die Reise herausgelegt hatte.
Schnell kämmte sie sich und trug Lippenstift auf, bevor sie einen Blick ins Kinderzimmer warf. „Ich gehe noch mal kurz raus, um ein paar Kleinigkeiten zu besorgen.“
„Bleib nicht zu lange weg“, erwiderte ihr Dad, der Nikos gerade in den Schlaf sang, ein rührender Anblick.
„Versprochen.“
Eine Minute später winkte sie dem Wachmann am Ausgang zu und ging in Richtung Park. Im Dämmerlicht wirkte Kreta immer besonders schön, aber noch nie war ihr die Insel magischer erschienen als an diesem Abend. Es liegt daran, dass Andreas auf mich wartet, gestand Gabi sich ein.
Vielleicht hatte Thea sich auch so gefühlt, als sie Leon an jenem Abend auf der Jacht begegnete – als wäre der Himmel ganz nah und als wäre einer der Zwillingsgötter vom Olymp herabgestiegen, so nah, dass ein Mensch ihn berühren konnte.
Er war ihr sehr nahegekommen und hatte ihr zwei kleine sterbliche Wesen geschenkt. Und nun war sein Zwillingsbruder Andreas hier, um ein Geschäft zwischen beiden Welten vorzuschlagen. Als ihr das klar wurde, kehrte sie unvermittelt auf den Boden der Tatsachen zurück.
In lässiger Freizeitkleidung, einem weißen Polohemd, khakifarbener Hose und Sandalen, erwartete er sie bereits im Park, wo sonst niemand zu sehen war. Er blickte ihr entgegen, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.
„ Yassou, Gabi.“
„Hallo!“ Bleib locker, ermahnte sie sich. „Ich habe mich sofort auf den Weg gemacht, weil Mutter und ich morgen sehr früh nach Athen fliegen.“
„Ich weiß.“ Die Hände in die Hüften gestützt, wirkte er überwältigend maskulin. „Aber bevor Sie Kreta verlassen, möchte ich etwas mit Ihnen besprechen.“
Verwirrt blinzelte sie. „Warum ist Leon nicht hier?“
Andreas betrachtete sie eine Weile. „Ich glaube, Sie kennen die Antwort.“
„Dann verstehe ich nicht, warum Sie gekommen sind.“
„Weil ich nicht möchte, dass Sie Griechenland verlassen.“
Mit dieser Antwort hätte sie niemals gerechnet.
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