Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Calvetti
Vom Netzwerk:
DAS LERNEN, WOZU ICH BISLANG NICHT DIE GELEGENHEIT HATTE
    Stepptanz, Portugiesisch, Gärtnern, um aus dem unerquicklichen Zustand des Autodidaktentums herauszutreten. Mein Wissen über Pflanzen ist ziemlich instinktiv und beschränkt sich auf das, was ich gelernt habe, bevor ich aus den bekannten Gründen nicht mehr dazu kam. Das meiste verdanke ich meiner Großmutter und ihrem Balkon. Den Rest suche ich mir im Internet zusammen.

    3. EINEN BALKONPFLANZENDIENST FÜR DIE NACHBARSCHAFT ORGANISIEREN
    Zunächst auf meinem Balkon üben. Wenn sich die Hälfte der Nachbarn beteiligt, kann ich schon genug verdienen. Machbarkeitsplan erstellen.
    4. DIE EHRENAMTLICHE TÄTIGKEIT IM ALTERSHEIM FÜR MUSIKER AUSBAUEN
    In dem Heim wohnen Sänger und andere Künstler, wer weiß, was die alles zu erzählen haben. Und wenn sie etwas erfinden, macht es ja nichts. Auch dort die Option mit den Biographien prüfen.
    5. MEINE WOHNUNG ENTRÜMPELN, ALLES VERKAUFEN, WAS ICH NICHT BRAUCHE, UND VERSCHENKEN, WORAN NIEMAND INTERESSE HAT
    6. DIE WÄNDE WEISS STREICHEN
    Heimwerken hält das Hirn auf Trab und aktiviert ungenutzte Muskeln. In einem weißen Umfeld denkt es sich besser.
    7. MICH AUF DER WEBSITE VON MISS MINIMALIST REGISTRIEREN
    Die Seite ist eine wahre Fundgrube an Ideen für ein kostengünstiges Leben. Ich könnte den Erfahrungsbericht einer erlösten Konsumentin posten und mich mit anderen »Reumütigen« austauschen.

    8. MEINEN ALTEN BEIBRINGEN, WIE MAN DAS INTERNET BENUTZT
    Ich bin ein Vulkan. Ich speie Lösungen. Ich produziere am laufenden Band Ideen, und die Mühelosigkeit, mit der ich mich auf einen Wechsel einstelle, deutet darauf hin, dass mein Unterbewusstsein schon geraume Zeit darauf zusteuert. Ohne mein Wissen.
    Wieder schiele ich zu meinen wunderbaren, lauten Nachbarinnen hinüber, aber die sind in ihr Gespräch vertieft, und meine neugeborene Weisheit würde vermutlich ihre Hoffnungen zum Gefrieren bringen. Die leichte Verbesserung meiner Laune verdanke ich vermutlich der heißen Schokolade, die auf dem Weg zum Magen einen Umweg über die linke Seite genommen und mein Herz wie heilsame Lava umspült hat.
    Nach dem Monolog der Witch kehrte ich zu dem quadratischen Etwas zurück, das an die Klapptische im Zug erinnert, von der Witch aber stets Schreibtisch genannt wird. Ich erkannte es kaum wieder. Die nach Farben sortierten Mappen, die Post-it-Notizen, den Ordner »Ideen und Projekte«, die in chronologischer Reihenfolge aufgestapelten Zeitschriften, das Altpapier, die Schreibtischutensilien, die Textmarker – alles war mir fremd. Selbst von meinen befreundeten Sachen fühlte ich mich verlassen: den Buntstiften, dem Memory-Stick, den Heften mit meinen Entwürfen, den Wörterbüchern und sogar von meinem Mauspad in Form einer Wolke, jener dicken, ein wenig plumpen und formlosen Wolke, mit der die Serie »Wolken und Jenseits« begonnen hatte. Virginia, Fiona und die Abergläubischen des TBD taten so, als wären sie superbeschäftigt, äugten aber unauffällig hinter den Raumteilern hervor, während ich in meiner unglaublichen Demütigung sowieso nichts Bestimmtes wahrnahm. Meine einzige richtige Freundin bei B & P, die Empfangskraft, die Sprachwissenschaften studiert hatte und aufgrund ihrer Stellung immer alles von allen wusste, kam unter einem Vorwand hoch, um sich von mir zu verabschieden. Von den anderen, die zu sehr damit beschäftigt waren, auf meinen über die Schubladen gebeugten Rücken den Trailer ihrer Zukunft zu projizieren, kam nicht die kleinste Geste. Ich beeilte mich, sie von der tiefen Verlegenheit zu befreien, aber bevor ich sie sich selbst überließ, damit sie ihre Position im Organigramm erfüllen und im Gewirr der Kästchen und Linien vergeblich nach dem rettenden Ausweg suchen konnten, warf ich alles, was an meine Anwesenheit an diesem Ort erinnerte, in einen Karton und tat damit exakt das, was man uns bei der Evakuierungsübung vor genau einem Monat beigebracht hatte. Mit dem Unterschied, dass ich mir jetzt die Frage stellte, an die auch nur zu denken ich mir damals versagt hatte: Warum sollte ausgerechnet ich fliehen müssen?
    Ich löschte Pressemitteilungen, Slides, Berichte, Budgets, Machbarkeitsstudien, Kommunikationspläne, Schweiß und Hirnzellen.
    Auswählen und in den Papierkorb verschieben.
    Krrrrrsch. Klick.
    Leer.
    Alles gelöscht. Außer einer Datei.

Weitere Kostenlose Bücher