Im Café der moeglichen Traeume
versiegen lässt. Wenn der bloÃe Gedanke an einen Robin Hood des Prekariats mich trösten kann, verpflanze ich meine Neuronen sofort in den Sherwood Forrest. Ich weiÃ, dass ich keine Ausnahme bin: Hunderte und Tausende sind es im Westen, eine ganze Generation, niedergemetzelt vom Egoismus stinkreicher Manager, die von einer Konferenz zur nächsten eilen, um über die Zukunft der Jugend zu debattieren, die sie selbst ihrer Zukunft berauben. Wer, wenn nicht ihr Zukunftsräuber, nehmt sie uns denn? Dass wir die »schlimmste Wirtschaftskrise, die die westliche Welt je erfasst hat«, erleben, davon haben sicher auch meine Tischnachbarinnen schon gehört. Dass einige sich das zunutze machen, um ihre Unternehmen von einer ganzen Generation zu befreien, ahnen sie allerdings nicht. Glückliche Jugend! Wenn ich sie so sehe, packt mich eine gewisse Sehnsucht nach den alten Zeiten, als der 22. Dezember in erster Linie der letzte Schultag war.
Noch ein Löffel, noch ein Gedanke.
Ich habe Besseres zu tun, als mich in Sehnsucht zu verzehren. Tatsächlich weine ich nicht mehr.
Ungerechterweise von einer dummen, kurzsichtigen Person rausgeschmissen zu werden ist schon verdienstvolleren Menschen als mir passiert. Ich genieÃe die letzten Tropfen meiner heiÃen Schokolade und rufe mir in Erinnerung, dass das Leben sie reich entschädigt hat. Walt Disney etwa hatte gerade erst bei einer Zeitung als Comiczeichner angefangen, als er auch schon »mangels Ideen und Fantasie« entlassen wurde. Oprah Winfrey, die heute im WeiÃen Haus ein und aus geht, wurde von einem Fernsehsender wegen »mangelnder Bildschirmpräsenz« rausgeschmissen. Kurzsichtigkeit muss eine Berufskrankheit der Mächtigen sein, wenn sogar Fred Astaire nach einem Vorsingen mit dem Kommentar verabschiedet wurde: »Sie können nicht schauspielern! Sie haben zu wenig Haare auf dem Kopf! Okay, tanzen können Sie ein wenig!«
Ich werde eine Liste von Persönlichkeiten erstellen, die von ungebildeten Chefs aussortiert wurden, und sie an meinen Kühlschrank hängen. Und ich werde sie herunterbeten lernen. Von heute Abend an soll die internationale Liste der unterschätzten Personen mein Mantra sein, mein Haiku, mein morgendlicher Abzählreim. Und wenn es tatsächlich â wie Audrey Tautou in Die fabelhafte Welt der Amélie behauptet â ein unveräuÃerliches Recht auf Scheitern gibt, lange ich in die Vollen.
Ich hole mein Notizbuch aus der Tasche.
Die Tasse ist endgültig leer, ich beiÃe in einen Keks und stürze mich auf mein bevorzugtes Beruhigungsmittel: Listen erstellen. Unter meiner geistigen Verwirrung leidet auch die Ordnung ein wenig.
MÃGLICHKEITEN, DIE ZEIT
TOTZUSCHLAGEN, WÃHREND ICH
EINE NEUE ARBEIT SUCHE
Zunächst einmal könnte ich das machen, was ich immer schon machen wollte und stets aufgeschoben-aufgehoben-vernachlässigt-verworfen-ignoriert habe, und zwar immer aus demselben stupiden Grund: keine Zeit.
Jetzt habe ich sie.
1. BIOGRAPHIEN SCHREIBEN
Das habe ich im Sinn, seit mir die Signora Barbara aus dem vierten Stock, Aufgang B, gelegentlich von ihrer Familie erzählt. Die reinste Saga. Jedes Mal, wenn ich ihr Gesellschaft leiste oder mit ihr einkaufen gehe, macht sie dort weiter, wo sie stehen geblieben war. Beeindruckend, dass sie, obwohl sie an einer leichten Form von Alzheimer leidet, immer noch weiÃ, wo wir stehen geblieben waren. Diesen Dienst könnte ich auch professionell aufziehen und gleich mit Rosa aus dem zweiten Stock, Aufgang C, beginnen. Die Schwestern Nina und Lidia aus dem ersten Stock, Aufgang D, dürften ebenfalls einen Haufen Erinnerungen haben, die sie gerne an ihre Enkel weitergeben würden. Vielleicht wollen sie sich auch an jemandem rächen, indem sie jahrelang gehütete Geheimnisse ausplaudern.
Ãberall gibt es Geschichten, man muss nur zuhören können. Vielleicht sind es nicht immer schöne Geschichten, aber sie sind wahr. Die Menschen mögen Geschichten und verlangen nicht notwendigerweise nach einem Happy End. Ein gutes Ende, das man einem Leben voller Tragödien und Katastrophen anheftet, ist ebenso unglaubwürdig wie eine Komödie mit tragischem Ausgang. Jeder hat sein eigenes Leben, aber den Menschen gefallen Biographien, und die Biographien der normalen Leute schreibt normalerweise niemand auf. Liste der Nachbarn erstellen und aufschreiben, was ich weiÃ. Dann weiterentwickeln.
2. ALL
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