Im Café der moeglichen Traeume
die auf jedes Wesen weiblichen Geschlechts neidisch ist. Und wehe, dieses Wesen ist auch noch verheiratet und hat Kinder. Ich bin allerdings nur eine unverheiratete, kinderlose Frau, meine letzte ernstzunehmende Beziehung liegt etliche Monate zurück, und mein Verhältnis zum Sex ist ziemlich gefühlsduselig. Trotz dieser prekären Existenz lache ich oft und zwar auch über belanglose Dinge, spreche drei Sprachen und kann selbst für die ödesten Verrichtungen eine groÃe Leidenschaft aufbringen. Für die Witch ist das gänzlich inakzeptabel. Wenn du ihr auf dem Frauenklo begegnest, wo du soeben mit einer Kollegin in ein nettes Gespräch vertieft bist, mustert sie dich mit der finsteren Miene dessen, der hart arbeitet, während diese Kreativen, diese nichtsnutzigen Profile, den ganzen Tag im Internet herumsurfen. Gesagt hat sie nie etwas, aber mit Sicherheit hat sie sich ihren Teil gedacht und all diese allzu menschlichen Jeans, Strickjäckchen, Piercings, Ohrringe und sogar Romane, die aus den Handtaschen herausschauen, mit unverhohlener Verachtung registriert.
Ich habe gar nichts gesagt, habe ihr den Rücken gekehrt und von der Tür aus »Frohe Weihnachten« gewünscht, denn auf den gesunden Menschenverstand und stringente logische Zusammenhänge hätte ich mich ja wohl erst gar nicht berufen müssen: Kann eine Agentur für »Integrierte Kommunikation« ihre Pressereferentin stilllegen? Kann sie ohne Leute auskommen, die keine Rechtschreibfehler machen und zu jedem beliebigen Thema fantasievolle Texte schreiben, und das für jeden Typ Kunde und jede Art Ware?
Sie kann.
Und ich, die ich in den Tag hineinlebe, hätte eigentlich wissen müssen, dass meine Mitarbeit â in deren Verlauf ich mit Müh und Not den Status einer Senior Assistant erlangt hatte â nicht von Dauer sein würde. Tief im Innern, oder vielleicht nicht einmal ganz so tief, hätte ich es wissen müssen, aber ich habe die Ahnungslose gespielt und an die unfehlbare Macht der Träume geglaubt.
Nun, da es zu spät ist, nehmen die Intuitionen und Vorzeichen plötzlich Gestalt an.
Natürlich hatte ich bei Breston & Partners keine Stelle auf Lebenszeit, aber nicht einmal die Witch hätte mich unter Verwendung exakt dieser Worte feuern können. Unter Berufung auf die Krise der letzten Monate hat man sich aber die Freiheit genommen, uns zu Hunderten zu kündigen.
Uns ein Bein zu stellen und husch, weg damit.
Ich war immer schon eine Wegwerfkollegin gewesen, verderbliche Ware wie ein Joghurt, den man im Kühlschrank vergessen hat.
Von dem ganzen Wirbel habe ich nur eine sanfte Strömung bemerkt. Nach den Sommerferien hatte es angefangen, mit einer »logistischen« Verlagerung von Büros aus dem dritten in den zweiten Stock. Dann wurden Schreibtische verschoben und rückten einander immer näher, und schlieÃlich â jetzt sehe ich es auch â waren die Menschenherzen dran. Natürlich hat man nur uns den Lebensraum beschnitten, die überaus groÃzügigen Büros der Führungskräfte aber nicht angetastet. Trotz der »schlimmsten Wirtschaftskrise, die die westliche Welt je erfasst hat«, bestand dort nie Mangel an frischen Blumen, 22-Zoll-Bildschirmen und einer gut gefüllten Minibar auf Fünf-Sterne-Niveau, während die Karossen der Herrschaften in der Tiefgarage parkten. »Benefits« nannten sie das. Oder vielmehr »sekundäre Benefits«. Braucht die Herrscherin des Human Resource Managements überhaupt einen Dienstwagen, wo sie doch gemäà Stellenbeschreibung den ganzen Tag hinter ihrem Schreibtisch sitzen soll, um Schicksale hin und her zu schieben? Offenbar schon, obgleich sie mir jedes Mal leidtut, wenn sie sich nach dem Kampf mit dem morgendlichen Verkehr mit blitzenden Augen und blanken Nerven in ihr Büro schleppt. Mein Kleinwagen, den mir Papa im Zuge eines finanziellen Höhenflugs spendiert hat, parkt wie ein ehrwürdiger Alter in der Familiengarage. Ich nehme nämlich das Fahrrad, trotz des holprigen Pflasters, der StraÃenbahnschienen und der Arroganz der motorisierten Artgenossen. Sollte es regnen oder schneien, fahre ich zweiundzwanzig Stationen mit der U-Bahn und lese.
Ich nahm. Ich fuhr. Ich las.
Ich muss mir angewöhnen, diese Verben in der Vergangenheitsform zu benutzen.
Bis gestern schrieb ich.
Ich war die Königin der Pressemappen. Meine Pressemitteilungen waren kleine
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