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Dafür, dass ich heute ins Gefängnis komme, habe ich ganz gut geschlafen. Einen Moment lang liege ich so auf meinem Bett, durch den halb geöffneten Vorhang dringt die kalte Wintersonne und wirft einen schmalen Lichtbalken zu mir ins Zimmer. Dann schießt mir das Adrenalin ins Blut. Es ist neun Uhr morgens. Jetzt sind es noch drei Stunden in Freiheit.
Ein Jahr lang habe ich auf diesen Tag gewartet, ein Jahr lang hab ich mich vor ihm gefürchtet. Ich war völlig am Durchdrehen, wollte abhauen, mich totsaufen, sonst irgendwas. Jetzt ist er da, und ich bin ganz klar. Sogar meine Taschen habe ich genau so gepackt, wie es die Justizvollzugsanstalt von mir verlangt hat.
Nachdem ich einmal durch die Wohnung bin, sitze ich nackt auf dem Küchenstuhl und stecke mir schon die sechste Zigarette an, trotzdem kriege ich das Adrenalin nicht unter Kontrolle. Das letzte Mal, als es mir so ging, musste ich auf ein Musik-Internat nach England, da war ich fast noch ein Kind, ich konnte nicht mal die Sprache. Bei meinem ersten Ausgang in die Stadt hat mich damals eine Bande Hooligans kaputt getreten, am helllichten Tag, Gehirnerschütterung, Nasenbeinbruch, Blutspur, alles dabei. Die hatten wohl was gegen Deutsche. Aber weil ich währenddessen gedacht hab, ich überlebe es sowieso nicht, war ich hinterher richtig glücklich.
Ich ziehe mich an, Jeans, Shirt, den Kapuzenpulli, den ich habe bedrucken lassen. Es gibt zwei davon, einen trage ich, den anderen hat meine Süße. Zwei Unikate, die uns verbinden sollen, solange wir getrennt sind. Das ist die Idee, das ist der Plan, so steht’s auf dem Pulli: »Omnia vincit amor« – »Liebe besiegt alles«. Latein, eine tote Sprache. Ob der Spruch auch tot ist, wird sich zeigen. Wir kennen uns erst seit ein paar Wochen. Jetzt ist sie gerade beruflich in Südamerika. Wär schön, wenn sich das mit der Liebe bestätigt. Das ist mir im Augenblick eigentlich gerade das Wichtigste.
Ich habe den Kühlschrank abgetaut, stelle die Heizung aus und ziehe die Stecker raus von allem, was anfangen könnte zu brennen. Als würde ich in den Urlaub fahren. Ich war schon immer ein Kontroll-Freak, doch diesmal ist es anders. Ich fahre nicht in den Urlaub, ich gehe in den Knast.
Mein Handy klingelt. Jörg ist da. Er wartet unten.
Ich stehe in der offenen Wohnungstür, die Taschen geschultert, und drehe mich um, alle Lichter aus, alles klar. Dann ziehe ich das Schloss hinter mir zu und laufe die Treppe runter. Ich bin extrem gefestigt, mir geht’s wunderbar, ich bin total fit. Mit einem Mal hab ich meinem Schicksal gegenüber so eine sportliche Attitüde entwickelt. Mein Blick ist nicht nach unten gesenkt, sondern absolut horizontal. Wir werden ja sehen, wer hier wen fickt, nicht in Bezug auf Gefangene natürlich, sondern grundsätzlich. Komm her, du Termin! Morgen um diese Zeit werde ich mehr über mein neues Leben wissen.
Jörg steht vor seinem schwarzen Range Rover und nickt mir zu.
Einer der wenigen Freunde, die ich nicht verstoßen habe. Ich hab mich zuletzt nur noch mit Leuten getroffen, mit denen ich sonst niemals zu tun hätte: mit Brandstiftern und anderem Gesocks. Nur keine Leute, die mit sensationellen Ideen für mich rüberkommen, wie ich bis zum Knast vernünftig bleibe. Hauptsache, die Leute haben genauso viel konsumiert wie ich und waren genauso verrückt. Es wundert mich eigentlich, dass ich nach dem Urteil keine weiteren Straftaten begangen habe, ich war die ganze Zeit kurz vorm kompletten Abschnallen. Nach dem letzten Prozess vor einem Jahr hat Jörg mich nach Hause gefahren, jetzt fährt er mich zum Gefängnis.
»Siehst gut aus, Alter«, sagt er.
Und ich: »Kann schon sein.«
Ich werfe die Taschen in den Kofferraum und lasse mich in den Sitz fallen. Meine erste Packung Marlboro ist leer. Siebzehn Zigaretten in zwei Stunden, das habe ich nicht mal auf Koks geschafft. Jörg gibt die Adresse der Justizvollzugsanstalt ins Navigationssystem ein. Jetzt sind es noch zweiunddreißig Minuten bis zu meinem Haftbeginn.
Ich bin die Strecke vorher mit Absicht noch nicht gefahren, ich wollte nicht wissen, wie es dort aussieht. Du kannst dir den Knast nicht mal eben anschauen. Solange du ihn nicht erlebt hast, ist er nur eine Vorstellung in deinem Kopf. Darum hängen sich manche Leute ja auch auf, kurz bevor sie überhaupt einfahren. Weil sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Das weißt du erst, wenn du drin bist, aber dann kommst du nicht mehr raus. Das ist das Problem. Das letzte Jahr über
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