Im Dutzend vielfältiger
Vorwort
Mögen Sie Vorwörter?
Als Leser lese ich die Vor- und Nachwörter, die der Schriftsteller an mich richtet, mit Interesse und Neugier, oftmals mit Vorfreude auf das Nachfolgende. Als Autorin stehe ich stets vor dem Problem, ob ich ein Vorwort oder ein Nachwort oder gar kein Wort an den Leser richten soll. Nun überlasse ich es Ihnen, ob Sie dieses Vorwort vor oder nach den Geschichten oder möglicherweise überl esen.
Ein Sammelband mit Erzählungen, die im Laufe eines Jahrzehnts – und darüber hinaus – entstanden sind, gehört zum Highlight der Karriere eines Autors. Das bedeutet nicht, dass die Romane schlechter wären. Doch Kurzgeschichten zeigen nicht nur die Vielfalt eines Autors deutlicher als es seine Romane vermögen, sie beweisen in der Regel auch die Experimentierfreude und verdeutlichen die Entwicklungsstufen des Autors.
Kurzgeschichten sind, so sagte mir der US-amerikanische Science-Fiction Autor Alan Dean Foster bei einem Interview, das Sahnehäubchen des Schreibens. Kurzgeschichten seien also die Kür eines jeden Schriftstellers – seine Äußerung könnte jedoch auch ein Warnhinweis gewesen sein, nicht zu viel, der schwer im Magen liegenden Kurzgeschichten zu naschen.
In Anbetracht dieser Möglichkeit empfehle ich, nicht alle Kurzgeschichten auf einmal, sondern lieber eine nach der anderen zu sich zu nehmen. So lässt sich der Inhalt besser verdauen. Aber keine Angst, nicht alle der vorliegenden Geschichten schlagen auf den Magen oder gar aufs Gemüt.
Meine Stammleser wissen, dass ich zahlreiche Geschichten und Bücher für Erwachsene und Kinder geschrieben habe, die dem phantastischen Genre zuzuordnen sind.
Doch für diesen Sammelband »I m Dutzend vielfältiger« habe ich Geschichten ausgewählt, die über historische Ereignisse, Morde, seltsame Studienexperimente und tragische Verluste erzählen. Nur bei » Der Krammetsvogel« habe ich einmal am Ende in die mystische Trickkiste gegriffen.
Die meisten der 12 Geschichten in diesem Band sind neueren Datums, da ich mich in den letzten Jahren mehr und mehr von der gängigen phantastischen Literatur entfernt habe.
Phantastische Kurzgeschichten finden Sie, falls Sie möchten, im zweiten eBook-Band »Im Dutzend phantastischer«.
Ich wünsche Ihnen interessante und spannende Unterhaltung!
Ihre Nicole Rensmann
Remscheid im November 2011
Rot, so rot
(2009)
Mia fror, als sie am Bahnsteig auf den Zug wartete. Sie klappte den Kragen ihres Mantels hoch und hielt ihn mit einer Hand geschlossen. Hätte sie zuhause den obersten Knopf angenäht, der in ihrer Manteltasche lag, müsste sie nun nicht wie ein Einarmiger in der Kälte stehen. Sie hasste es, in ihrer Bewegung eingeschränkt zu sein, jedoch nicht so sehr wie zu frieren. Als sie noch vor einem Jahr hier in Remscheid stand und der Bau des Bahnhofs nur langsam voranschritt, hatte sie gehofft, bald gäbe es ein gemütliches Wartehäuschen oder zumindest einen komplett bedachten Bahnhof wie die Hauptbahnhöfe in Essen oder Düsseldorf. Fehlanzeige. Ihre Armbanduhr piepste die volle Stunde – noch fünf Minuten, bis der Zug käme, falls er pünktlich erschien. Aber die Nachtzüge trafen fast nie zu spät ein. Mia schaute die Treppe hinauf, der Bäcker hatte geschlossen, die Bücher im Buchladen tuschelten untereinander über all die Bahnhofsbesucher, von denen sie angefasst, aber nicht mitgenommen worden waren, und erzählten sich ihre eigenen Geschichten untereinander – eine Nacht lang. Mia würde ihnen gerne lauschen, aber dafür blieb keine Zeit. In einem Geschäft hatte eine Lampe gebrannt, als sie daran vorbei gegangen war. Vermutlich vergessen. Auch das Parkhaus leuchtete, als müsse es Hunderten von Menschen den Weg weisen, aber das sah sie von hier aus nicht. Sie ahnte es nur. Trügerischer Schein. Ein Bus durchbrach die Stille der Nacht, als er am Willi-Brand-Platz abfuhr. Vermutlich leer, bis auf den Fahrer, der gelangweilt und einsam seine Strecke abfuhr, bis er irgendwann am frühen Morgen zuhause zu seiner Frau ins warme Bett kroch. Müde und nicht mehr allein. Stolz, sein nächtliches Tageswerk absolviert zu haben. Ihres begann erst.
Vor einer halben Stunde hatten die Absätze ihrer Stiefel der nächtlichen Stille einen fremdartigen Stakkato-Sound verliehen. Sie war gerannt. Nur um den Zug zu erwischen, und nun wartete sie.
Einsam und frierend.
Licht durchbrach das Dickicht der Dunkelheit. Na endlich. Mia atmete auf, ließ
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