Im Dutzend vielfältiger
Was trieb die Männer nur an? Sie hatten doch jetzt alles, was er ihnen geben konnte. Entgegen seiner Vorsätze drehte sich Josef um. Er hatte einen guten Vorsprung, er konnte es schaffen. Doch während er nach den Dieben Ausschau hielt, übersah er den Baum, den der letzte Sturm umgeworfen hatte. Mit Wucht prallte Josef dagegen, kippte vornüber und landete im Laub.
Lena, wie er sie das erste Mal geküsst hatte, im Laub liegend, das unter ihrem Körper knisterte – nicht so stark wie die Luft um sie herum. Wie er sie liebte.
Josef sprang auf, sein Knie schmerzte, seine Hände bluteten. Er achtete nicht auf die lauter werdenden Rufe.
Das tschack-tschack-tschack der Krammetsvögel schwoll bedrohlich an. Sie warnten ihn, sie riefen ihm zu, er solle rennen. Und er rannte. Überrascht stellte er fest, dass er weinte. Mit von Harz und Moos beschmutzten und von Dornen zerkratzten und blutenden Händen wischte er sich durchs Gesicht. Sein Herz verkrampfte sich, die Not beutelte ihn.
Lena, werde ich dich je wiedersehen?
Sie neigte den Kopf immer ein bisschen zur Seite, wenn sie ihn zum Abschied anlächelte und ihm zuwinkte. Heute hatte sie nicht nur gewunken, sondern die andere Hand auf ihrem Bauch liegen gehabt und gelacht, als er schon ein Stück entfernt war. Josef hatte sich umgedreht und sie hatte ihm zugerufen: »Es tritt, unser Baby tritt so fest, als wolle es bald heraus. Beeile dich!« Ihr Lachen hatte ihn den Weg über begleitet und ihn beschwingt, aber auch mit Sorge weiter gehen lassen, denn er wollte zurück sein, bevor das Baby kam.
»Jetzt haben wir dich!«
Er spürte eine Hand, die seine Jacke streifte. Die Wegelagerer hatten ihn erreicht. Wie hatten sie das geschafft? Er war nicht stehen geblieben, aber langsamer geworden. Die Erschöpfung legte sich über seine Glieder, noch einmal zog er an und rannte so schnell ihn die Füße trugen. Er hatte nur ein Ziel vor Augen. Lena.
Das tschack-tschack-tschack seiner Verbündeten begleitete ihn. Sie waren aufgebracht, wütend und in Sorge um ihren Freund.
Diesmal erkannte Josef den Baumstamm früh genug, er sprang darüber. Doch er knickte mit dem Fuß um, schrie vor Schmerz und Überraschung auf – hinter dem Stamm lag ein totes Kitz. Beinahe wäre er darauf gefallen. Er ahnte, dass er bald ebenso dort liegen würde – mit verdrehtem Hals, die Augen starr in den Himmel gerichtet.
Er humpelte stark und kam noch langsamer voran. Die Schmerzen waren unerträglich. Schlimmer die Angst, die Gewissheit, dass sie so lange nicht von ihm lassen würden, bis er nicht mehr fähig war, sie zu verraten.
Tschack-tschack-tschack.
Josef wünschte sich Flügel.
Tschack-tschack-tschack.
Flügel, mit denen er empor fliegen und dieser Hetzjagd entkommen könnte.
Oh, ihr Krammetsvögel, helft mir doch! Aber sie waren machtlos gegen die Gier und den Hass der Männer, die Josef verfolgten.
Sie kreischten, warnten den Wald und hofften auf Rettung.
Tschack-tschack-tschack.
Josef schrie um Hilfe – aber niemand kam und stand ihm zur Seite.
Der Schmerz in seinem Fuß zog sich über die gesamte rechte Körperseite, aber er lief weiter. Sie kamen näher. Bliebe er jetzt stehen, welche Chance ließen sie ihm?
Ein Sonnenstrahl stahl sich durch das Blätterdach des Waldes und strich über sein Gesicht. Hoffnung.
Die Sonne hatte durchs Fenster geschienen, als Lena ihm mitteilte, sie sei guter Hoffnung. Ein halbes Jahr war dies nun her, es war eine schöne Zeit, in der ihr Leib praller und Lena jeden Tag schöner wurde. Doch seine Sorge um sie wuchs von Tag zu Tag. Wenn er doch nur immer bei ihr bleiben könnte.
Mit einem Aufschrei stürzte Josef zu Boden, ein Stein hatte ihn zwischen den Schulterblättern getroffen.
Tschack-tschack-tschack.
Die Krammetsvögel kreischten vor Wut und Angst und warfen ihren Kot auf die Übeltäter ab, doch die ließen sich von ihrem Plan nicht abbringen, sie fluchten nur und reckten ihre Fäuste gen Himmel. »Zu euch kommen wir später. Ihr werdet verspeist, einer nach dem anderen.« Der Größere lachte. »Und nun zu dir!« Er riss Josef wieder auf die Beine, dabei kam er so unglücklich auf seinem verletzten Fuß auf, dass ihm die Tränen in die Augen schossen.
»Ihr habt doch das Geld, lasst mich gehen!«, flehte er.
»Damit du uns an die Kellnerei verrätst?« Der Mann lachte. Er warf Josef in den Dreck wie einen abgenagten Knochen und trat ihm in die Seite.
Josef krümmte sich, wollte nicht schreien,
Weitere Kostenlose Bücher