Im Innern des Wals
Jahrhundert besitzen. Er konnte es nur schaffen, weil er robust genug war, um in Klubs und Regimentskasinos leben zu können und den Mund zu halten. Aber den Leuten, die er bewunderte, ähnelte er nicht oder kaum. Von privater Seite habe ich verschiedentlich erfahren, daß viele Indien-Engländer, die seine Zeitgenossen waren, ihn nicht mochten und ihn oft direkt ablehnten. Sie sagten, zweifellos mit Recht, daß Kipling nichts von Indien wußte, und andererseits, für ihren Standpunkt, zu intellektuell war. Weil er in Indien dazu neigte, mit den »falschen Leuten« zu verkehren, und wegen seines dunklen Teints verdächtigte man ihn fälschlicherweise, einen Tropfen asiatischen Blutes zu haben. Vieles in seiner Entwicklung läßt sich darauf zurückführen, daß er in Indien geboren wurde und vorzeitig von der Schule abging. Mit einem etwas andern Hintergrund hätte er ein guter Romancier, oder ein hervorragender Verfasser von Musical-Hall-Songs werden können. Aber wie weit stimmt es, daß er ein gewöhnlicher Flaggenschwenker, eine Art Reklamechef von Cecil Rhodes war? Er war es, aber es stimmt nicht, daß er ein Anbeter oder Mitläufer seiner Zeit war. Nach seinen ersten Jugendtagen, wenn überhaupt, hat er nie der öffentlichen Meinung geschmeichelt. Was man gegen ihn vorbringen kann, ist, wie Eliot sagt, daß er unpopuläre Ansichten in einem populären Stil zum Ausdruck brachte. Dadurch wird das Problem eingeschränkt, eine Einschränkung, wenn man voraussetzt, daß »unpopulär« bei den Intellektuellen unbeliebt bedeutet. Es ist aber Tatsache, daß Kiplings »Botschaft« zu denen gehörte, die das breite Publikum nicht wünscht und tatsächlich nie akzeptiert hat. Die Mehrheit der Bevölkerung in den neunziger Jahren war genau wie heute, antimilitaristisch, vom Empire gelangweilt und patriotisch nur im Unterbewußtsein. Kiplings offizielle Anhänger sind und waren die mittleren Staatsbeamten, die Leute, die Blackwood lesen. In den stupiden ersten Jahren unseres Jahrhunderts, als die Hurra-Schreier endlich einen entdeckt hatten, den man als Dichter bezeichnen konnte und der auf ihrer Seite stand, wurde Kipling auf einen Sockel gehoben und einigen seiner mehr sentenziösen Gedichte wie »If« fast biblischer Rang zugesprochen. Es bleibt jedoch fraglich, ob die Hurra-Schreier ihn wirklich je aufmerksamer gelesen haben als die Bibel. Vielem, was er sagte, konnten sie unmöglich zustimmen. Nur wenige, die England von innen her kritisierten, haben sich bitterer über dies Land geäußert als dieser Gossen-Patriot. Für gewöhnlich ist es die englische Arbeiterklasse, die er angreift, aber nicht immer. Einige Verse, die er über den Burenkrieg sagt, haben einen eigentümlich modernen Klang, so weit es das Thema zuläßt.
»Stellenbosch«, etwa um 1902 entstanden, faßt das zusammen, was jeder intelligente Infanterieoffizier 1918 sagte oder heute sagt.
Kiplings romantische Ideen über England und das Empire hätten keine derartige Bedeutung errungen, hätte er sie von den Klassenvorurteilen trennen können, mit denen sie um jene Zeit verknüpft waren. Untersucht man seine besten und repräsentativsten Arbeiten, seine Soldaten-Gedichte, besonders die Barrack-Room-Ballads , so stellt man fest, daß ihnen am meisten der durchgängig herablassende Ton schadet. Kipling macht aus dem Armeeoffizier und besonders aus dem jungen eine Idealgestalt, und zwar in geradezu idiotischem Ausmaß, während der gemeine Mann, so liebenswert und romantisch er sein mag, die komische Figur abgeben muß. Er muß immer in einer Art von stilisiertem Cockney sprechen, nicht übermäßig breit, aber doch mit sorgfältiger Weglassung aller h’s und g’s am Ende. Sehr oft ist das Ergebnis ebenso peinlich wie ein humoristischer Vortrag auf einem Kirchenabend. Darauf beruht die eigentümliche Tatsache, daß man Kiplings Gedichte oft verbessern und weniger polternd und humorig machen kann, indem man sie einfach durchgeht und ihr Cockney in ein normales Englisch verwandelt. Das trifft besonders auf seine Kehrreime zu, die echte lyrische Qualität haben. Zwei Beispiele mögen genügen (das eine auf ein Begräbnis, das andere auf eine Hochzeit):
So it’s knock out your pipes and follow me!
And it’s finish up your swipes and follow me!
Oh, hark to the big drum calling.
Follow me – follow me home!
[Klopft eure Pfeifen aus und folgt mir! Schluß mit dem Kricket und folgt mir! Oh, horcht auf die große Trommel, die ruft. Folgt mir – folgt
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