Im Koenigreich der Traeume
musterte. Ihre haselnußbraunen Augen richteten sich auf das ausdrucksstarke Gesicht. Große blaue Augen, die unter fein geschwungenen, dunkelroten Brauen rein und klar wie Kristall schimmerten, beherrschten es. »Naja, du bist... du bist ziemlich hübsch.«
»Gut, aber siehst du irgend etwas Ungewöhnliches an mir?« hakte Jenny nach und dachte an die Worte von Mutter Ambrose, als sie ihre Haube mit einer Haarnadel befestigte und den Schleier zurechtrückte. »Etwas, das Männer dazu bringen könnte, sich komisch zu benehmen?«
»Nein«, behauptete Brenna fest, weil sie Jenny mit den Augen einer jungen, naiven Unschuld betrachtete. »Nicht das geringste.«
Ein Mann hätte etwas ganz anderes gesagt, denn Jennifer Merrick war nicht hübsch im üblichen Sinn, sondern bezaubernd und aufreizend. Sie hatte einen großzügigen Mund, der zum Küssen einlud, Augen wie leuchtende Saphire, deren Ausdruck fesselten und anlockten, üppiges, wie rotgoldener Satin glänzendes Haar und eine schlanke, sinnliche Figur, für die Berührung von Männerhänden wie geschaffen.
»Deine Augen sind blau«, bemühte sich Brenna hilfsbereit, sie zu beschreiben.
Jenny kicherte. »Das waren sie vor zwei Jahren auch.«
Brenna öffnete den Mund, um etwas darauf zu antworten, aber die Worte wurden zu einem Schrei, der von der Hand eines Mannes erstickt wurde. Während sich diese Hand auf ihren Mund preßte, wurde sie nach hinten ins Dickicht gezerrt.
Jenny duckte sich instinktiv, weil sie auch einen Angriff erwartete, aber es war bereits zu spät. Sie trat um sich und kreischte hinter der behandschuhten Hand, dann hob man sie hoch und schleppte sie in den Wald. Brenna wurde wie ein Mehlsack über einen Pferderücken geworfen - ihre schlaffen Glieder zeigten,daß sie ohnmächtig geworden war -, aber Jenny war nicht so leicht zu unterwerfen. Als ihr Entführer sie auf den Pferderücken schleuderte, rollte sie sich zur Seite ab und kämpfte sich auf die Füße. Der Kerl fing sie wieder ein, Jenny zog ihm die Fingernägel durchs Gesicht und zappelte wild in seinem Griff.
»Sapperlott«, zischte er wütend, als er sich abmühte, ihre um sich schlagenden Arme und Beine unter Kontrolle zu bekommen.
Jenny stieß einen markerschütternden Schrei aus, und im selben Moment trat sie so derb zu, wie sie konnte. Sie traf mit den festen schwarzen Stiefeln, die für eine Novizin als schicklich erachtet wurden, das Schienbein des Entführers. Der blonde Mann stöhnte vor Schmerz und ließ sie für den Bruchteil einer Sekunde los. Schon stürmte sie vorwärts und hätte vielleicht ein paar Meter Vorsprung gewinnen können, wenn sich ihr Stiefel, der ihr noch ein paar Augenblicke zuvor so gute Dienste geleistet hatte, nicht in einer Wurzel verfangen hätte. Sie fiel auf die Nase und stieß sich beim Sturz die Schläfe an einem Stein.
»Gib mir den Strick«, sagte der Bruder des Wolfs und sah seinen Begleiter mit einem grimmigen Lächeln an. Stefan Westmoreland zog seiner geschwächten Gefangenen den Umhang über den Kopf, zerrte ihn um ihren schmalen Körper, um die Arme an ihre Seiten zu pressen, dann nahm er den Strick, den ihm sein Begleiter hinhielt, und wickelte ihn fest um Jennys Taille. Nachdem er das Seil ordentlich verknotet hatte, hob er das menschliche Bündel auf und warf es rücksichtslos über den Rücken seines Pferdes, so daß Jennys Hinterteil in den Himmel ragte. Dann schwang er sich hinter seiner Beute in den Sattel.
Kapitel zwei
»Royce wird unser Glück kaum fassen können«, rief Stefan dem Reiter an seiner Seite zu, dessen Gefangene jetzt auch gefesselt vor ihm lag. »Stell dir vor - Merricks Töchter direkt unter diesem Baum, reif wie Äpfel, die man vom Zweig pflücken kann. Jetzt haben wir keinen Grund mehr, die Verteidigungsmaßnahmen der Merricks auszukundschaften - der alte Lord wird sich kampflos ergeben.«
Obwohl Jenny fest verschnürt in ihrer wollenen Falle lag, ihr Kopf hin und her geschleudert wurde und ihr Bauch bei jedem Hufschlag auf den Pferderücken aufprallte, hörte sie den Namen »Royce«, und das Blut gefror ihr in den Adern. Royce Westmoreland, der Earl of Claymore. Der Wolf. Plötzlich erschienen ihr die grausigen Geschichten, die sie von ihm gehört hatte, nicht mehr so weit hergeholt. Brenna und sie waren von Männern gefangengenommen worden, die keinerlei Respekt vor dem St.-Alban-Orden zeigten, denn schließlich zeichnete ihr Habit sie und Brenna als Novizinnen aus, als angehende Nonnen, die ihre
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