Im Land der glühenden Sonne: Die Australien-Saga (German Edition)
»Im Grunde waren sie damals so wie heute, würde ich sagen. Deine Mutter konnte sich überhaupt nicht von dir losreißen. Du kamst als kleines Überraschungsgeschenk – sie hatte eigentlich nicht mehr daran geglaubt, noch ein Kind zu bekommen. Ihr war anzusehen, dass sie überglücklich war. Dein Vater nahm es etwas gelassener. Wahrscheinlich ist der Kinderwunsch bei Frauen von Natur aus stärker. Was natürlich nicht heißt, dass er sich nicht über deine Geburt gefreut hätte«, setzte sie hastig hinzu.
Barney nahm noch einen Schluck. »Glauben Sie wirklich, Mrs. Anderson? Ich weiß nicht, wenn ich uns mit … mit anderen Familien vergleiche, habe ich irgendwie das Gefühl, dass wir uns nicht so nahe stehen.«
»Ach, Familien sind eigentümliche Gebilde. Wir unterscheiden uns alle und sind uns doch irgendwie ähnlich. Jim und ich kommen beide aus großen Familien und haben keine Kinder bekommen. Vielleicht ist das Gottes ausgleichende Gerechtigkeit. Obwohl ich zugeben muss, dass ich das Gefühl habe, mitgeholfen zu haben, dich großzuziehen. Wie haben Jim und ich uns über deine Fortschritte gefreut. Angefangen von deinen ersten Schritten, bis zu dem Tag, an dem du den Abschluss an der Uni gemacht hast. Mein Güte, waren wir an diesem Tag stolz auf dich.«
Ihr Gesicht glühte vor Freude, und Barney spürte einen Stich in der Brust. Obwohl er den Andersons gegenüber Dankbarkeit und Zuneigung empfand, hatte er sich nie besonders viele Gedanken über sie gemacht. Sie waren einfach da gewesen. Wenn er Schwierigkeiten hatte, war er immer zuerst zu Mrs. Anderson gelaufen, die ein großes Herz hatte und nie mit Zärtlichkeit und gutem Rat geizte. Und auch der ruhige, etwas phlegmatisch veranlagte Jim hatte ihm so oft geholfen. Er hatte sich viel Zeit für ihn genommen und ihm geduldig erklärt, wie ein Motor funktionierte oder wie man Fische fing. Plötzlich dämmerte es Barney, dass er und seine Eltern sich bei den Andersons nie für all das erkenntlich gezeigt hatten. Warum war er eigentlich nicht auf den Gedanken gekommen, sie zu seiner Abschlussfeier einzuladen? Vermutlich hätten sie die Einladung nicht angenommen, weil sie dort nicht »hingehörten«, aber gefreut hätten sie sich bestimmt.
»Sie waren für mich immer so eine Art zweite Mutter«, sagte Barney liebevoll, und es war sein voller Ernst.
Mrs. Anderson nickte und schenkte hastig Tee für Jim ein. Nach einer Weile sagte sie: »Aber da du gefragt hast, Barney … muss ich sagen, dass sich doch etwas geändert hat … aber ganz langsam. Eines Tages blickt man zurück und begreift plötzlich, dass es nicht mehr ist wie vorher. Ich glaube, dein Dad fühlte sich nach deiner Geburt ein bisschen vernachlässigt, weshalb er sich stärker um die Schafzucht kümmerte und die häuslichen Angelegenheiten deiner Mutter und mir überließ. Nach deiner Geburt dauerte es lange, bis sie wieder zu Kräften kam. Da sind Jim und ich eingezogen, und jetzt sind wir immer noch da!«
»Wie war das? Mir klingen die Ohren.« Jim putzte sich die Schuhe ab, zog den Hut vom Kopf, setzte sich auf eine Treppenstufe und nahm die Tasse Tee mit dem Keks auf dem Unterteller entgegen, die ihm seine Frau reichte.
»Danke, Rene. Worüber quasselt ihr?«
»Barney hat sich gefragt, wie es hier war, als er noch ein kleiner Junge war.«
»Ich würde sagen, vieles hat sich auf Amba verbessert, aber im Großen und Ganzen sieht es immer noch genauso aus wie damals.«
»Wir haben über seine Mutter und seinen Vater gesprochen. Darüber, wie Menschen sich verändern.«
»Wir werden eben alle nicht jünger«, sagte Jim etwas nachdenklich. »Du hast doch nicht etwa vor, große Veränderungen durchzuführen, wenn du Amba mal übernimmst, oder?«, fragte er plötzlich.
Barney erhob sich und schüttelte den Kopf. »Nein, es wird wohl alles bleiben, wie es ist. Tja, ich muss dann mal los.«
»Hast du ihm das mit dem Wochenende gesagt, Schatz?«, erinnerte Jim seine Frau.
»O Gott, das habe ich völlig vergessen.« Sie wandte sich an Barney. »Meinst du, du könntest am Wochenende allein zurechtkommen, wo deine Eltern jetzt weg sind? Jim und ich dachten, wir könnten uns ein paar Tage freinehmen. Ich kann dir Mahlzeiten vorkochen.«
»Klar, gar kein Problem. Aber machen Sie keine Umstände. Ich kann mir selbst etwas zu essen machen, und am Samstag gehe ich sowieso aus.«
Die vier flimmernden großen Buchstaben, die das Wort ENDE bildeten, wurden immer undeutlicher, als sich langsam
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