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Im Land der tausend Sonnen

Titel: Im Land der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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kalten, feuchten Raum im hinteren Teil des Zollhauses für ihn eingerichtet, groß genug für seinen Schreibtisch, ein paar Stühle und ein Regal, in dem die Bezirkskarten aufbewahrt wurden, die zum Teil noch aus der Zeit vor der großen Feuersbrunst stammten. Der muffige Geruch, der in diesem Raum herrschte, war so übermächtig, dass Backhaus gelegentlich versucht war, »versehentlich« selbst einen Brand zu legen.
            Er eilte über die Straße und die lange steinerne Treppenflucht zu seinem Büro hinunter, um am Schreibtisch Platz zu nehmen, bevor der Kerl ihm vorgeführt wurde. Dieser Pfarrer. Dieser übereifrige Narr, der auf das Gekreische der Huren, die die Leiche gefunden hatten, in den Kornspeicher stürmen musste und sie auch noch identifizierte. Verdammtes Pech war das, denn nun musste er Ermittlungen anstellen. Wenn dieser Pfarrer sich herausgehalten hätte, wäre der Tote in der Leichenhalle vielleicht nicht mehr gewesen als eine Nummer, schnell vergessen. Hätte nichts mit seinem Bezirk zu tun haben müssen. Aber jetzt … jetzt war es schon etwas komplizierter. Diese Leiche, angeschleppt von Gott weiß woher, gehörte überhaupt nicht in seine Akten. Sie hätte übersehen werden können, hätte übersehen werden müssen …
            Er war eifrig mit Feder und Tinte beschäftigt, als der Pfarrer sich schüchtern zur Tür hereindrückte, einen umfangreichen Koffer hinter sich herziehend.
            »Mein Herr. Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Ich bedaure den Tod dieses armen Mannes zutiefst, aber ich bin in Eile.« Er klammerte sich an den Koffer, als wäre er ein Rettungsring, als bräuchte er ihn, um sich daran festzuhalten.
            Backhaus bedeutete den Wachmännern zu gehen und konzentrierte sich auf den Zeugen.
            Er war groß, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, mit den für seinen Beruf typischen weichen weißen Händen und feinen Gesichtszügen – abgesehen von der scharfen Nase. Haar und Bart, die beide dringend eines Barbiers bedurften, waren rötlich braun. Man könnte meinen, er sähe gut aus, überlegte der Inspektor, würde sein Benehmen nicht eine Schwäche verraten. Denn der Bursche sprach mit einer hohlen, blechernen Stimme und hielt den Blick auf den Boden geheftet. Liegt wohl auch an seinem Beruf, dachte der Inspektor, dem der gesenkte Kopf und das zu demütiger Beugung bereite Knie auffielen.
            Aber was hätte man anderes erwarten können?
            Die Starken gingen zum Militär, die Schwachen unterwarfen sich der Kirche.
            Der Pfarrer war jedoch sauber gekleidet, trug den üblichen schwarzen Hut, einen schwarzen Rock und gute Spangenschuhe, eine Nummer zu groß, wenn nicht mehr. Wahrscheinlich stammten sie aus zweiter Hand.
            »Name?«, bellte Backhaus, und der Pfarrer fuhr zusammen.
            »Vikar Friedrich Ritter.«
            »Sie dürfen sich setzen. Beruf?«
            »Mein Herr, wie Sie vielleicht bemerkt haben, bin ich Geistlicher. Bei den Lutheranern. Ich habe erst kürzlich die Weihen empfangen, nachdem ich meine Studien am St.-Johannis-Seminar hier in Hamburg abgeschlossen hatte.«
            »Ja, ja. Der Name des Toten?« Inspektor Backhaus machte sich Notizen auf einem Blatt Papier, das zunächst einmal in einem offenen Berichtsbuch steckte. Es war noch zu früh, um die Angaben des Mannes unwiderruflich ins Buch einzutragen.
            »Otto Haupt.«
            »Beruf?«
            »Ich glaube, er war Bühnenkünstler.«
            »Welcher Art? Ein Hanswurst? Ein Jongleur? Oder was?«
            »Schauspieler, glaube ich. Ich kannte ihn nicht sehr gut.«
            Der Vikar warf verzweifelte Blicke um sich, als hoffte er auf Rettung, doch der Inspektor fuhr fort.
            »Ich wundere mich, dass Sie ihn überhaupt kannten. Wie haben sich Ihre Wege gekreuzt?«
            Ritter seufzte. »Ich habe in einer Pension in der Kanalstraße Wohnung genommen, ein ungemütliches Haus, aber etwas Besseres konnte ich mir nicht leisten. Ich wollte gern in Hafennähe wohnen, weil mein Schiff zum Ablegen bereit vor Anker lag, doch das Auslaufen wurde aus Gründen, die wohl der Kapitän am besten kennt, hier jedoch unbedeutend sind, immer wieder verschoben. Ich habe meine Mahlzeiten in einem Gasthaus weiter unten an der Kanalstraße eingenommen, und dort traf ich Herrn Haupt. Er schien etwas mehr Format zu haben

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