Im Land Der Weissen Wolke
Tag verbracht hatte. Doch den forschenden, amüsierten Seitenblick Mr. Greenwoods bei dessen letzter Bemerkung hatte Helen sehr wohl bemerkt. Das Ganze warf völlig neue Fragen auf. Beispielsweise hatte Helen sich bisher gar nicht vor Augen geführt, dass eine Überfahrt nach Neuseeland natürlich auch bezahlt werden wollte. Konnte man ohne schlechtes Gewissen seinen künftigen Gatten dafür aufkommen lassen? Oder erwarb er damit schon Rechte an einer Frau, die ihm eigentlich erst zustanden, wenn von Angesicht zu Angesicht das Jawort gesprochen war?
Nein, diese ganze Neuseeland-Geschichte war verrückt. Helen musste sie sich aus dem Kopf schlagen. Es war ihr nicht bestimmt, eine eigene Familie zu haben. Oder doch?
Nein, sie durfte nicht mehr daran denken!
Doch in Wahrheit dachte Helen Davenport in den nächsten Tagen an nichts anderes mehr ...
2
»Wollen Sie die Herde gleich sehen, oder nehmen wir erst mal einen Drink?«
Lord Terence Silkham begrüßte seinen Besucher mit einem kräftigen Händedruck, den Gerald Warden nicht minder fest erwiderte. Lord Silkham hatte nicht so recht gewusst, wie er sich einen Mann vorstellen sollte, der ihm von der Züchtervereinigung in Cardiff als »Schaf-Baron« aus Übersee avisiert worden war. Doch was er nun sah, gefiel ihm nicht schlecht. Der Mann war für das Wetter in Wales zweckmäßig, aber durchaus modisch gekleidet. Seine Breeches waren von elegantem Schnitt und aus gutem Stoff, der Regenmantel aus englischer Produktion. Klare blaue Augen blickten aus einem großflächigen, ein wenig kantigen Gesicht, das zum Teil von einem breitkrempigen, für die Gegend typischen Hut verdeckt wurde. Darunter lugte volles braunes Haar hervor, nicht kürzer und nicht länger getragen, als es in England üblich war. Kurz und gut, nichts an der Erscheinung Gerald Wardens erinnerte auch nur im Entferntesten an die »Cowboys« aus den Groschenheftchen, in denen einige Dienstboten seiner Lordschaft – und zum Entsetzen seiner Gattin auch seine ungeratene Tochter Gwyneira! – gelegentlich schmökerten. Die Verfasser dieser Schundliteratur schilderten blutrünstige Kämpfe amerikanischer Siedler mit hasserfüllten Eingeborenen, und die ungelenken Zeichnungen zeigten verwegene Jünglinge mit langem, ungezähmtem Haarschopf, Stetson, Lederhosen und seltsam geformten Stiefeln, an denen angeberisch lange Sporen befestigt waren. Obendrein waren die Viehtreiber schnell mit ihrer Waffe bei der Hand, die man »Colt« nannte und die in Halftern an lockeren Gürteln getragen wurden.
Lord Silkhams heutiger Gast jedoch trug keine Waffe am Gürtel, sondern eine Taschenflasche Whiskey, die er jetzt aufschraubte und seinem Gastgeber anbot.
»Ich würde sagen, das hier reicht fürs Erste zur Stärkung«, sagte Gerald Warden mit tiefer, angenehmer, befehlsgewohnter Stimme. »Heben wir uns weitere Drinks für die Verhandlungen auf, wenn ich die Schafe gesehen habe. Und was das angeht, machen wir uns besser rasch auf den Weg, bevor es wieder regnet. Hier, bitte.«
Silkham nickte und nahm einen kräftigen Zug aus der Flasche. Erstklassiger Scotch! Kein billiger Fusel. Auch das nahm den hochgewachsenen, rothaarigen Lord für seinen Besucher ein. Er nickte Gerald zu, griff nach seinem Hut und seiner Reitpeitsche und stieß einen leisen Pfiff aus. Als hätten sie darauf gewartet, stoben drei lebhafte, schwarz-und braun-weiße Hütehunde aus den Ecken des Stalles, in denen sie Schutz vor dem unbeständigen Wetter gesucht hatten. Offensichtlich brannten sie darauf, sich den Reitern anzuschließen.
»Sind Sie den Regen nicht gewohnt?«, erkundigte sich Lord Terence, während er auf sein Pferd stieg. Ein Bediensteter hatte ihm seinen kräftigen Hunter vorgeführt, als er Gerald Warden begrüßt hatte. Geralds Pferd wirkte noch frisch, obwohl er an diesem Morgen bereits die weite Strecke von Cardiff nach Powys geritten war. Sicher ein Mietpferd, aber unzweifelhaft aus einem der besten Ställe der Stadt. Ein weiterer Hinweis darauf, wie der Ausdruck »Schaf-Baron« zustande kam. Warden war sicher nicht adelig, schien aber reich zu sein.
Jetzt lachte er und glitt ebenfalls in den Sattel seines eleganten Braunen. »Im Gegenteil, Silkham, im Gegenteil ...«
Lord Terence schluckte, beschloss dann aber, dem anderen die respektlose Anrede nicht übel zu nehmen. Woher der Mann auch kommen mochte, waren »Mylords« und »Myladys« anscheinend eine unbekannte Gattung.
»Wir haben ungefähr dreihundert Regentage im
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