Im Land Der Weissen Wolke
Förderung!«
William schien den Tadel für seine Lehrerin zu genießen, und Helen dachte wieder einmal an besagte Anzeige ...
George schien Helens Gedanken zu lesen. Als hätte es das Gespräch mit William und seiner Mutter nicht gegeben, griff er die letzte Bemerkung seines Vaters wieder auf. Helen hatte diesen Kunstgriff schon mehrmals bei Vater und Sohn bemerkt und bewunderte zumeist die elegante Überleitung. Diesmal jedoch trieb ihr Georges Bemerkung die Röte ins Gesicht.
»Miss Davenport interessiert sich für Neuseeland, Vater.«
Helen schluckte krampfhaft, als sich alle Blicke auf sie richteten.
»Ach, wirklich?«, fragte Robert Greenwood gelassen. »Denken Sie an Auswanderung?« Er lächelte. »Dann ist Neuseeland eine gute Wahl. Keine übermäßige Hitze und keine malariaträchtigen Sümpfe wie in Indien. Keine blutrünstigen Eingeborenen wie in Amerika. Keine Sprösslinge krimineller Siedler wie in Australien ...«
»Tatsächlich?«, fragte Helen und freute sich, das Gespräch wieder auf neutraleren Boden bringen zu können. »Wurde Neuseeland nicht auch durch Sträflinge besiedelt?«
Mr. Greenwood schüttelte den Kopf. »Aber nein. Die dortigen Gemeinden wurden fast durchweg von braven britischen Christenmenschen gegründet, und so ist es noch heute. Womit ich natürlich nicht sagen will, dass es dort keine zweifelhaften Subjekte gibt. Vor allem in die Walfängerlager an der Westküste dürfte es so manchen Gauner verschlagen haben, und die Schafschererkolonnen werden auch nicht gerade aus lauter Ehrenmännern bestehen. Aber Neuseeland ist ganz gewiss kein Sammelbecken des gesellschaftlichen Abschaums. Die Kolonie ist auch noch jung. Sie wurde erst vor wenigen Jahren eigenständig ...«
»Aber die Eingeborenen sind gefährlich!«, warf George ein. Offensichtlich wollte jetzt auch er mit seinem Wissen glänzen – und für kriegerische Auseinandersetzungen, das wusste Helen aus dem Unterricht, hatte er ein Faible und ein ausgezeichnetes Gedächtnis. »Es gab noch vor einiger Zeit Kämpfe, nicht wahr, Dad? Hast du nicht davon erzählt, dass einem deiner Handelspartner die gesamte Wolle abgebrannt wurde?«
Mr. Greenwood nickte seinem Sohn wohlgefällig zu. »Richtig, George. Aber das ist vorbei – im Grunde seit zehn Jahren, auch wenn gelegentlich noch Scharmützel aufflackern. Es ging auch nicht um die grundsätzliche Anwesenheit der Siedler. Was das angeht, waren die Eingeborenen immer fügsam. Eher wurden Landverkäufe angezweifelt – und wer will ausschließen, dass unsere Landnehmer da nicht tatsächlich den einen oder anderen Stammeshäuptling übervorteilt haben? Doch seit die Queen unseren guten Captain Hobson als Generalleutnant herübergeschickt hat, werden diese Streitigkeiten behoben. Der Mann ist ein genialer Stratege. 1840 hat er sechsundvierzig Häuptlinge einen Vertrag unterschreiben lassen, in dem sie sich zu Untertanen der Königin erklären. Die Krone hat seitdem bei sämtlichen Landverkäufen Vorkaufsrecht. Leider haben nicht alle mitgespielt, und es halten ja wohl auch nicht alle Siedler Frieden. Deshalb kommt es schon mal zu kleinen Unruhen. Aber im Grunde ist das Land sicher – also keine Angst, Miss Davenport!« Mr. Greenwood zwinkerte Helen zu.
Mrs. Greenwood runzelte die Stirn. »Sie erwägen doch nicht wirklich, England zu verlassen, Miss Davenport?«, fragte sie verdrießlich. »Sie denken wohl nicht ernstlich daran, diese unsägliche Anzeige zu beantworten, die der Pfarrer im Gemeindeblatt veröffentlicht hat? Gegen die ausdrückliche Empfehlung unseres Damenkomitees, wie ich betonen möchte!«
Helen kämpfte schon wieder mit dem Erröten.
»Was für eine Anzeige?«, erkundigte sich Robert und wandte sich dabei direkt an Helen. Die aber druckste nur herum.
»Ich ... ich weiß gar nicht so richtig, worum es geht. Da war nur eine Notiz ...«
»Eine Gemeinde in Neuseeland sucht heiratswillige Mädchen«, klärte George seinen Vater auf. »Wie es aussieht, herrscht in diesem Südseeparadies Frauenmangel.«
»George!«, tadelte Mrs. Greenwood entsetzt.
Mr. Greenwood lachte. »Südseeparadies? Na, das Klima ist eher dem in England vergleichbar«, verbesserte er seinen Sohn. »Aber es ist doch kein Geheimnis, dass es in Übersee mehr Männer als Frauen gibt. Abgesehen vielleicht von Australien, wo der weibliche Abschaum der Gesellschaft gelandet ist: Betrügerinnen, Diebinnen, Hur... äh, leichte Mädchen. Aber wenn es um freiwillige Auswanderung geht, sind unsere
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