Im Land des Falkengottes. Echnaton
Leben lang halten.
Wir sprachen viel miteinander in diesen Tagen. Amenophis war begierig danach, alles von mir zu erfahren, was ich wusste, was ich erlebt hatte. Erzählte ich ihm von meiner Reise an den Euphrat, die ich als junger Mann im Auftrag seines Vaters unternommen hatte, von Babylon und dem königlichen Palast von Dur-Kurigalzu, davon, wie ich dort meine erste Frau Merit kennen lernte, dann hörte er mir schweigend und mit unendlicher Geduld zu, ohne mich auch nur einmal zu unterbrechen.
Wie anders aber verhielt er sich, als ich ihm von unserem Feldzug nach Nubien berichtete, von der Schlacht gegen Icheni, den Anführer der Aufständischen von Kusch, Irem, Tiurek und Weresch, davon, wie der unbeugsame Icheni und zwei seiner Mitstreiter nach der Schlacht hingerichtet wurden, davon, wie die Soldaten Ichenis zuvor den tapferen Offizier Maj gefoltert und verstümmelt hatten, sodass ihn Pharao aus Mitleid mit eigener Hand von seinen Qualen erlöste. Da empörte sich der Prinz über so viel Ungerechtigkeit und Grausamkeit, über so viel unnötiges Leid, welches sich Menschen gegenseitig zufügten! Er presste die Lippen zusammen, und seine Augen huschten unruhig umher.
Dann platzte es aus ihm heraus: «Glaubst du wirklich, Eje,dass die Götter Wohlgefallen daran finden, wie sich ihre Geschöpfe gegenseitig quälen und umbringen?»
«Dein Vater, er lebe, sei heil und gesund, war und ist der Herrscher über die Beiden Länder und alle Welt ist ihm untertan. Er ist als unser König verantwortlich dafür, dass Maat herrscht, die göttliche Ordnung. Icheni und seine Horden haben diese Ordnung verletzt und damit den Zorn Pharaos heraufbeschworen. Sie haben einen Offizier Pharaos auf das Grausamste gefoltert, und sie haben sich zuletzt geweigert, Pharao Treue zu schwören und seine Gnade zu erbitten. Kannst du in dem Handeln deines Vaters Unrecht erkennen, Amenophis?»
«Die Art deiner Frage verbietet es mir, eine ehrliche Antwort zu geben. Wie könnte ich behaupten, dass Pharao Unrecht begeht. Er mag richtig gehandelt haben, Eje. Mir aber stellt sich die Frage, ob man auch anders, vielleicht besser hätte reagieren können. Ich bin mir bewusst, dass mir die Kunst des Herrschens noch fremd ist. Man hat sie nur meinen Bruder gelehrt. Ich fühle aber, nein, Eje, ich weiß, dass es noch etwas anderes gibt, als Gerechtigkeit nur um der Gerechtigkeit willen.»
Ich konnte ihm keine Antwort geben, denn mich beschlich eine Ahnung, dass er vielleicht Recht haben könnte.
Auf unserer Fahrt nach Norden gingen wir nur viermal an Land, um unsere Vorräte an Wasser und Brot aufzufüllen. Mit allem anderen waren wir ausreichend versorgt. Obwohl Meru und ich höflich zur Eile mahnten, ließ sich der Prinz nicht davon abhalten, an Land zu gehen und mit den Menschen zu sprechen. Er tat dies aber nicht, wie es dem Sohn Pharaos entsprochen hätte, mit Abstand und Herrscherwürde. Nein, er ging selbst auf die einfachen Menschen zu, begrüßte sie freundlich und fragte nach ihren Sorgen und Nöten. Manche der Angesprochenen waren überrascht, ja verwirrt, denn es lag völlig außerhalb ihres Vorstellungsvermögens, dass sich der Sohn des Guten Gottes ihnen zuwandte. Dank meines außerordentlichen Gehörs konnte icheinmal vernehmen, dass man den Prinzen wegen seines leutseligen Umgangs sogar für geistesschwach hielt. Anderen dagegen war anzusehen, wie sehr sie durch die Begegnung mit ihrem künftigen Herrscher beglückt wurden, und sie priesen diesen Tag als den schönsten und wichtigsten ihres sonst so bedeutungslosen Lebens.
Meru und ich schwiegen und ließen Prinz Amenophis gewähren.
Genau wie es Meru bei Antritt der Reise berechnet hatte, trafen wir am Abend des neunten Tages in Men-nefer ein. Noch am frühen Morgen entsandte ich an Land einen berittenen Boten in den Palast des Wesirs Ramose, um unser Eintreffen anzukündigen. Gleichzeitig bat ich Ramose in meinem Schreiben darum, jeden Aufwand zu vermeiden, damit wir unbemerkt in den königlichen Palast gelangen konnten.
Als unser Schiff anlegte, dauerte es noch eine ganze Weile, ehe plötzlich vier Wagengespanne auftauchten und neben dem Landungssteg anhielten. Ein Mann von gut vierzig Jahren stieg vom ersten Wagen und kam auf uns zu, als wir gerade den Boden von Men-nefer betreten hatten. Er verneigte sich tief vor Prinz Amenophis. Es war Hebi, dessen Vater Ramose Wesir des Nordens war. Er begann einst seine Laufbahn als Schreiber Seiner Majestät, dann war er einige
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